Karlsruhe urteilt über Gewerkschaftsklagen gegen Tarifeinheit

Arbeitsministerin Nahles muss um ihr umstrittenes Tarifeinheitsgesetz
bangen. Die Gewerkschaften sehen ihren Einfluss schwinden und leisten
Widerstand. Haben die vielen Verfassungsbeschwerden Erfolg?

Karlsruhe (dpa) - Gegen die Tarifeinheit laufen die Gewerkschaften
Sturm - am Dienstag (10.00 Uhr) verkündet das
Bundesverfassungsgericht nach etlichen Klagen sein Urteil. Das Gesetz
von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sieht vor, dass bei
konkurrierenden Tarifverträgen in einem Betrieb künftig nur der
Abschluss mit der mitgliederstärksten Gewerkschaft gilt. Die
Bundesregierung will damit aufreibende Machtkämpfe verhindern. Die
Gewerkschaften bangen um ihre Durchsetzungskraft und ihren Einfluss.

Aus Sicht der Bundesregierung hat sich das Prinzip «ein Betrieb - ein
Tarifvertrag» über Jahrzehnte bewährt. Nach einem Urteil des
Bundesarbeitsgerichts von 2010 waren dann auf einmal verschiedene
Abschlüsse nebeneinander möglich. Mit dem Gesetz, das seit rund zwei
Jahren gilt, will die Ministerin wieder klare Verhältnisse schaffen.
Nahles schwebt vor, dass Konkurrenz-Gewerkschaften sich von Anfang an
miteinander abstimmen. Zum Konflikt soll es gar nicht kommen.

Die Gewerkschaften befürchten dagegen einen rücksichtslosen
Verdrängungswettbewerb und eine Aushöhlung ihres Streikrechts. Die
Arbeitgeber hätten es nun nicht mehr nötig, mit allen zu verhandeln.

In jedem Krankenhaus drohe permanenter Streit, sagte der Vorsitzende
der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Rudolf Henke, der Deutschen
Presse-Agentur in Karlsruhe. Nur 14 bis 15 Prozent der Beschäftigten
seien Ärzte. Andere Gewerkschaften wie Verdi hätten daher leicht mehr
Mitglieder im Betrieb. «Und dann haben wir das Nachsehen und könnten
keine wirksamen Tarifverträge in unserem Sinne abschließen.»

Der Marburger Bund hat eine von elf anhängigen Verfassungsbeschwerden
eingereicht. In der Verhandlung im Januar hatte der Erste Senat unter
Vizegerichtspräsident Ferdinand Kirchhof fünf davon genauer unter die
Lupe genommen, darunter die Klagen von Verdi und dem Beamtenbund dbb.
Auch in den letzten langen Streiks der Lokführer und der Piloten
hatte die Diskussion um die Tarifeinheit eine Rolle gespielt.

An den beiden Tagen waren praktische Probleme zum Vorschein gekommen.
Wichtige Fragen waren außerdem, ob das Gesetz überhaupt sein Ziel
erreicht und ob das nicht auch mit weniger schwerwiegenden Eingriffen
in die Koalitionsfreiheit möglich wäre. Dass Nachbesserungen nötig
werden, ist daher nicht unwahrscheinlich (Az. 1 BvR 1571/15 u.a.).