Großbritannien will EU-Bürgern weitreichende Bleiberechte gewähren

Die Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens laufen schon.
Aber bisher war über die Position der Regierung in London wenig
bekannt. Nun unterbreitet die Premierministerin dem EU-Gipfel erste
Details.

Brüssel (dpa) - Wenige Tage nach Beginn der Brexit-Verhandlungen hat

Premierministerin Theresa May den EU-Bürgern in Großbritannien ein
weitreichendes Bleiberecht in Aussicht gestellt. Die Vorschläge
machte May am Donnerstagabend beim EU-Gipfel in Brüssel. Wichtigster
Punkt: Wer derzeit rechtmäßig im Vereinigten Königreich lebe, solle
nicht gezwungen werden, das Land zu verlassen. Familien sollten nicht
getrennt werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte den Vorschlag
einen «guten Anfang».

Es geht um rund 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien, die nach
dem Antrag des Landes auf EU-Austritt um ihre Zukunft fürchten. Mays
Vorschläge beruhen auf der Annahme, dass die EU sich im Gegenzug zu
ähnlichen Zusagen bereit findet.

Premierministerin May schlug nach Angaben eines hochrangigen
britischen Beamten eine Stichtagsregelung vor: Wer vor einem noch zu
bestimmenden Datum fünf Jahre im Land war, sollten einen geregelten
Rechtsstatus bekommen. Diese EU-Bürger sollten mit Blick auf Kranken-
und Rentenversicherung möglichst so wie britische Bürger behandelt
werden, hieß es. Wer bis zum Stichtag weniger als fünf Jahre in
Großbritannien gelebt habe, solle die Gelegenheit bekommen, die fünf
Jahre voll zu machen und ebenfalls einen geregelten Status zu
erhalten.

Der Stichtag soll demnach zwischen dem Datum des Austrittsantrags -
dem 29. März 2017 - und dem Datum des Vollzugs des Brexit - dem 29.
März 2019 - liegen. Das genaue Datum werde Gegenstand der
Verhandlungen. In jedem Fall gelte für die EU-Bürger bis zum Austritt
europäisches Recht. Außerdem soll es eine Übergangsfrist von bis zu
zwei Jahren geben.

Mays Regierung hatte bereits vorige Woche ein «großzügiges Angebot»

an die EU-Bürger im Land angekündigt. In Brüssel nannte sie nun erste

konkrete Vorschläge. Weitere Einzelheiten dazu will May kommenden
Montag vorstellen. Anfang der Woche hatten Großbritannien und die EU
ihre Verhandlungen über den EU-Austritt begonnen. Er soll bis Ende
März 2019 vollzogen sein.

Kanzlerin Merkel begrüßte Mays Vorstoß, betonte aber zugleich, es
gebe bei den Austrittsverhandlungen noch viele offene Punkte. So
seien Fragen der Finanzen zu bearbeiten, auch das Verhältnis
Großbritanniens zur Republik Irland müssten geklärt werden. «Wir
haben hier noch viel zu tun bis Oktober», so die Kanzlerin.
Österreichs Regierungschef Christian Kern äußerte sich ähnlich. Es

seien noch viele Details offen. «Also wir sind jetzt gerade mal an
der Startlinie dieses Prozesses - und wissen noch nicht, ob es ein
100-Meter-Lauf wird oder doch ein Marathon», betonte er am Abend.

Zu Verhandlungen mit May über ihre Vorschläge kam es auf dem Gipfel

nicht, die Brexit-Gespräche sollen nach dem Willen der verbleibenden
27 EU-Staaten von den Unterhändlern geführt werden. Am Donnerstag
ging es aber um die Folgen des britischen EU-Austritts. Denn mit dem
britischen Austritt brauchen auch zwei bislang in London beheimatete
große EU-Agenturen einen neuen Standort. Fast alle übrigen
Mitgliedsstaaten bewerben sich darum.

In Deutschland rechnen sich Bonn und Frankfurt am Main Chancen aus.
Sie dürften aber erst im November erfahren, ob sie zum Zuge kommen.
Die Gipfelteilnehmer beschlossen, dass es im Oktober noch eine
politische Diskussion über die Bewerbungen geben soll. Erst danach
wird es dann im November bei einem EU-Ministertreffen eine geheime
Wahl nach Art des Eurovision Song Contest geben, wie EU-Ratspräsident
Donald Tusk mitteilte.

Bei den aus London umziehenden Behörden handelt es sich um die
EU-Arzneimittelagentur EMA und die Bankenaufsicht EBA. Kein Land soll
beide Agenturen bekommen. Diejenigen Städte, die sich in dem
Standortwettbewerb durchsetzen, dürfen auf erhebliche Zusatzeinnahmen
hoffen.

Der Gipfel hatte sich zuvor darauf geeinigt, die gemeinsame
Verteidigungspolitik und den Kampf gegen den Terror voranzutreiben.
Die Teilnehmer billigten den Ausbau der militärischen Zusammenarbeit
und einen Verteidigungsfonds für gemeinsame Rüstungsprojekte. Auch
einigten sie sich auf eine Verlängerung der Wirtschaftssanktionen
gegen Russland wegen der Ukraine-Krise.