Von der Giftbrühe zum Badefluss - das kleine Wunder an der Elbe Von Ulrike von Leszczynski, dpa

Vor 25 Jahren wäre niemand auf die Idee gekommen, in der Elbe zu
baden. Von der Wasserqualität her ist das heute kein Ding - eine
mehrere hundert Kilometer lange Schwimmstaffel ist ab Samstag der
Beweis. Doch der Fluss hat neue Probleme.

Berlin (dpa) - Giftbrühe, toter Fluss, chemische Reinigung: Die
Beinamen der Elbe waren vor dem Mauerfall alles andere als
schmeichelhaft. Wie sehr sich dieses Bild gewandelt hat, zeigt sich
ab diesem Samstag: eine mehr als 500 Kilometer lange Schwimmstaffel
lenkt den Blick zur Elbe. In Etappen führt sie im Wissenschaftsjahr
vom sächsischen Bad Schandau bis zur Staustufe in Geesthacht in
Schleswig-Holstein. Doch es gibt nicht nur Erfolge. Trotz ihrer guten
Wasserqualität hat die Elbe Stress - und ein Gedächtnis.

Zwei Tage nach dem Mauerfall zitierte der «Spiegel» im November 1989
aus einer geheimen Studie des DDR-Umweltministeriums. Danach lag die
Belastung der Elbe mit Schwermetallen um ein Vielfaches über den
Höchstwerten der europäischen Trinkwasserrichtlinie. Es ging um
Quecksilber, Cadmium, Chlorkohlenwasserstoffe und anderen Chemiemüll
aus Kombinaten und Fabriken entlang der Elbe und ihren Nebenflüssen -
eine Brühe, die vom deutsch-deutschen Grenzfluss in die Nordsee
gespült wurde.

Heute gleicht das Flusssystem Elbe an langen Abschnitten einem
Naturparadies. «Ökologische Systeme haben ein hohes
Regenerationsvermögen. Dass sich die Elbe aber so schnell erholt und
auch viele Tiere wie der Elbebiber zurückkommen, das hat kaum jemand
erwartet», sagt Markus Weitere, Gewässerökologe am Helmholtz-Zentrum

für Umweltforschung in Magdeburg.

Doch es bleibt ein großes Aber. Die Elbe sei durch Eutrophierung,
also den Eintrag von Nährstoffen und dem daraus folgenden
Algenwachstum, immer noch ein problematischer Fluss, berichtet
Weitere mit Blick auf Nitrat und Phosphat aus der Landwirtschaft.
Dazu komme die vom Menschen veränderte Form des Flusses mit
Strömungen und Ufern. «Wenn wir den gesamten ökologischen Zustand des

Systems Elbe anschauen, wird er immer noch nicht als gut bewertet,
sondern in weiten Teilen als mäßig und unbefriedigend», sagt Weitere.


Das sieht Christian Wolter vom Berliner Leibniz-Institut für
Gewässerökologie und Binnenfischerei ganz genauso. «In den letzten
Jahrzehnten hat man sich vor allem auf die chemische Wasserqualität
gestürzt und hatte da auch große Erfolge», sagt er. Seltene
Flussfischarten wie Barbe, Hasel oder Aland kehrten zum Beispiel
zurück. Auch der Lachs wird wieder angesiedelt. Seit Ende der 1990er
Jahre aber seien Verbesserungen relativ marginal geblieben, ergänzt
Wolter. Deshalb sei es Zeit für einen Paradigmenwechsel, ganz im
Sinne der neuen Wasserrahmenrichtlinie: Nicht nur die chemische
Wasserqualität zählt. Die ökologische Qualität ist gleichwertig.

Susanne Heise, Ökotoxikologin an der Hochschule für Angewandte
Wissenschaften in Hamburg, hat vor allem die Ablagerungen der Elbe im
Blick - ihre Sedimente. Sie sind wie das Gedächtnis eines Flusses.
«Schwebstoffe und Schadstoffe in den Sedimenten sind heute die großen
Probleme für die Elbe», urteilt sie. Dazu zählen auch Altlasten wie
Schwermetalle, die immer noch eingeschwemmt oder bei Hochwasser
wieder aufgewirbelt und in großen Mengen weiterverteilt werden.

Zwar gebe es ein Sedimentmanagementkonzept mit Schwellenwerten für
Konzentrationen, berichtet Heise. Es sei aber nicht verpflichtend und
habe mit Blick auf Schadstoffquellen noch viele weiße Flecken.
Wichtig wäre ihr deshalb eine Prioritätenliste: Wo ist es ökologisch

sinnvoll, Altlasten vom Grund zu baggern? Solche Verfahren sind
teuer. «Mit Verbesserungen bei den Sedimenten könnte die Elbe aber
noch einmal einen Sprung nach vorn machen», sagt die Forscherin.

Neben den Einträgen aus der Landwirtschaft gibt es andere, die man
nicht sieht und von denen man nichts ahnt. «Dazu gehören
Mikroschadstoffe und Antibiotika-Rückstände aus Krankenhäusern. Die
lassen sich nicht so einfach aus dem Abwasser filtern und werden auch
von Kläranlagen nicht vollständig zurückgehalten», sagt
Gewässerökologe Weitere. «Dazu kommt Mikroplastik, zum Beispiel aus
dem Abrieb von Plastikflaschen oder Tüten. Das ist per se nicht
giftig, aber es ist ein sehr widerstandsfähiges Material, das in die
Nahrungskette gelangt.»

Und dann gibt es noch den Klimawandel, der im Verdacht steht,
Extremwetterlagen mit Hoch- und Niedrigwasser zu begünstigen.
«Hauptproblem ist also ein ganzes Set an Stressoren, die für sich
allein wenig ausmachen, aber in ihrer Summe wirken», resümiert
Weitere. In vielen Bereichen sehen die Wissenschaftler deshalb Luft
nach oben, um an der Elbe noch größere Wunder wahr werden zu lassen.