Ein Stück Gerechtigkeit? - Brustimplantate-Skandal vor dem BGH Von Anja Semmelroch, dpa

Viele Tausende Frauen haben durch den Brustimplantate-Pfusch des
Herstellers PIP schlimmes Leid hinter sich. Immer noch hoffen sie auf
Schmerzensgeld. Jetzt klärt sich, ob womöglich ein deutscher TÜV
haftet. Er hatte die Implantate zertifiziert - und nichts gemerkt.

Karlsruhe (dpa) - Es geht um Geld, viel Geld sogar, aber für
Elisabeth Schmitt ist das Geld auch ein Stück Gerechtigkeit. Ihr sind
die Tage lebhaft in Erinnerung, als in den Medien auf einmal die Rede
ist von einem Riesenskandal: Pfusch mit Brustimplantaten, gefüllt mit
billigem Industrie-Silikon, Betrug im großen Stil. Eine schlimme
Geschichte, aber erst kommt ihr gar nicht in den Sinn, dass das alles
etwas mit ihr zu tun haben könnte. Bis sie in ihre Unterlagen schaut.

Heute ist die Rentnerin aus Ludwigshafen eine Art Vorkämpferin für
die mehr als 5000 Frauen in Deutschland, die damals wie sie die
reißanfälligen Implantate des französischen Herstellers Poly Implant

Prothèse (PIP) in ihrem Körper tragen - eine Zeitbombe. Ihre Klage
auf Schmerzensgeld hat als erste den Bundesgerichtshof (BGH)
erreicht, die Entscheidung im Fall Schmitt gibt die Linie vor. An
diesem Donnerstag könnte es so weit sein, es wird wieder verhandelt.

Es ist die Angst vor dem Brustkrebs, die Schmitt zu dem Eingriff
treibt, ihre Mutter und eine Schwester sind erkrankt. 2008 lässt sich
die heute 67-Jährige sicherheitshalber Brustgewebe entfernen und
Implantate einsetzen, nach langem Überlegen. Aber mit der OP fangen
die Probleme an: Fieberschübe, Erschöpfung, eine Gürtelrose. Die
Ärzte sind ratlos. Bis ab dem Frühjahr 2010 der PIP-Skandal ans Licht
kommt. Die Behörden empfehlen Frauen, die Implantate besser zu
entfernen. 2012 muss sich Schmitt das zweite Mal operieren lassen.

An der Schuld des Herstellers besteht kein Zweifel. Längst steht
fest, dass bei PIP über viele Jahre heimlich Implantate mit nicht
zugelassenem Billig-Silikon befüllt wurden. Der PIP-Gründer ist zu
einer Haftstrafe wegen Betrugs und Verbrauchertäuschung verurteilt.
Aber den betroffenen Frauen, Hunderttausenden weltweit, hilft das nur
bedingt. Denn Geld ist bei der insolventen Firma nicht mehr zu holen.

Frauen wie Schmitt versuchen es deshalb auf einem anderen Weg - sie
haben den TÜV Rheinland verklagt. «Ich konnte dieses Unrecht nicht
ertragen», sagt sie. «Ich hab' gedacht: Das muss bestraft werden.»

Sensible Medizinprodukte wie Brustimplantate dürfen in der EU nur
vertrieben werden, wenn sie das CE-Kennzeichen tragen - als Zeichen
dafür, dass sie alle Anforderungen erfüllen. Nur bestimmte Stellen
dürfen das Siegel verleihen. Sie nehmen die Qualitätssicherung unter
die Lupe, nicht das Produkt. Für PIP übernahm der TÜV diese Aufgabe.

Zwischen 1998 und 2008 kamen die Mitarbeiter achtmal zu angekündigten
Besichtigungen vorbei - ohne einen Verdacht zu schöpfen.

Aus Sicht der Klägerinnen ein Unding. Sie sagen: Hätte der TÜV genau

genug hingeschaut, hätte der Betrug früher auffliegen müssen. Schmitt

will vom TÜV deshalb mindestens 40 000 Euro Schmerzensgeld.

Aber so einfach ist die Sache nicht, denn auch der TÜV sieht sich
betrogen. Tatsächlich war PIP mit einiger krimineller Energie am
Werk. Kündigten sich Kontrolleure an, verschwand das Billig-Silikon
aus der Produktion und wurde durch das zugelassene hochwertigere Gel
ersetzt. Die gesamte Dokumentation gab es doppelt, in einer echten
und einer gefälschten Fassung. In einer Mitteilung wiederholt der TÜV
Rheinland (TRLP) im Juni: «TRLP ist hierfür nicht verantwortlich.»

Hat der TÜV trotzdem Pflichten verletzt? Und haftet er überhaupt? Der
BGH hat sich diese zentralen Fragen nach einer ersten Verhandlung
2015 vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) beantworten lassen.

Das Luxemburger Urteil aus dem Februar 2017 ist offen genug, um beide
Seiten hoffen zu lassen. Der TÜV verbucht für sich, dass die Richter
keine generelle Verpflichtung zu unangemeldeten Kontrollen oder
Produkttests sehen. Allerdings: Gibt es Hinweise, dass womöglich
etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, muss die Prüfstelle laut EuGH
«alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen». Schmitts Anwältin Ruth
Schultze-Zeu ist überzeugt davon, dass sich hier Versäumnisse
nachweisen lassen. «Ich habe zahlreiche Hinweise gefunden», sagt sie.

Dafür müsste Schmitts Fall vor dem Oberlandesgericht neu verhandelt
werden. Nach Niederlagen in den Vorinstanzen wäre das ein wichtiger
Etappensieg. «Für mich. Und für die anderen Frauen», sagt sie.

Wie viele andere Frauen das in Deutschland sind, ist unklar. Der TÜV
will dazu keine Zahlen nennen. Aber allein Schultze-Zeu vertritt mehr
als 250 Klägerinnen in 24 Verfahren. (Az. VII ZR 36/14)