Urteil: Beweiserleichterung bei Haftung für Arzneimittel zulässig

Kann eine Impfung gegen Hepatitis B Multiple Sklerose auslösen? Die
Frage werden die Hinterbliebenen eines französischen Patienten nicht
mit Sicherheit beantworten müssen, um möglicherweise Schadenersatz zu
bekommen.

Luxemburg (dpa) - Nationale Gesetze dürfen Patienten in
Schadenersatzprozessen gegen Pharmaunternehmen die Beweisführung
erleichtern. Ein «Bündel ernsthafter, klarer und übereinstimmender
Indizien» kann ausreichen, um die Haftung für ein Arzneimittel zu
begründen, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Mittwoch
in Luxemburg. (Rechtssache: C-621/15)

Hintergrund ist ein Fall aus Frankreich. Dort war ein Mann nach einer
Impfung gegen Hepatitis B an Multipler Sklerose erkrankt und
gestorben. Seine Familie verklagt nun den Hersteller des Impfstoffs
Sanofi Pasteurs.

Die französischen Gerichte stellten fest, dass es keinen
wissenschaftlichen Konsens gebe, auf den ein Zusammenhang zwischen
der Impfung und der Erkrankung des Mannes an Multipler Sklerose
gestützt werden könne.

Das französische Recht erleichtert Patienten die Beweisführung in
solchen Fällen allerdings. Demnach kann ein Zusammenhang vermutet
werden, wenn eine Krankheit kurz nach Einnahme des Arzneimittels
auftritt und weder der Patient noch ein Familienmitglied an einer
relevanten Vorerkrankung litt.

Aus Sicht der Luxemburger Richter ist diese Regel mit EU-Recht
vereinbar, da ein Indizienbündel gefordert wird, das einen
Zusammenhang zwischen Medikament und einer späteren Erkrankung mit
«einem hinreichend hohen Grad an Wahrscheinlichkeit» nahelegt.

Andernfalls wäre es für Patienten «übermäßig schwierig», wenn
nicht
«gar unmöglich» Pharmaunternehmen in Anspruch zu nehmen.

Beweiserleichterungen dürften aber nicht so weit gehen, dass
«automatisch» ein Zusammenhang zwischen Medikament und Erkrankung
vermutet werde, so die Luxemburger Richter.

Auch in Deutschland gibt es eine Beweiserleichterung für Patienten
nach dem Arzneimittelgesetz. Demnach wird vermutet, dass ein
Arzneimittel eine Erkrankung verursacht hat, wenn es im Einzelfall
dazu «geeignet» ist. Relevant sind dabei etwa die Zusammensetzung des
Medikaments, seine Dosierung, der zeitliche Zusammenhang zu der
Erkrankung und der gesundheitliche Zustand des Patienten.