Schulz liefert - und wartet auf Merkels Steuerplan Von Tim Braune und André Stahl, dpa

Innere Sicherheit, Rente und jetzt Steuern: Die SPD und Martin Schulz
legen ein Konzept nach dem anderen vor. Die Union schweigt und
vertraut auf den Merkel-Effekt. Geht da noch was für Schulz?

Berlin (dpa) - Ein paar frische Farben sind genau das, was das
umfragegeplagte sozialdemokratische Gemüt gerade gut gebrauchen kann.
Die SPD präsentiert sich in ihrer Parteizentrale seit kurzem mit
einem neuen Bühnenbild. Nicht mehr sattes SPD-Rot für die
Fernsehkameras, sondern ein Himmelblau mit ein paar Streifen, die wie
Sonnenstrahlen wirken. Das soll Vertrauen schaffen in die Politik des
Kanzlerkandidaten.

Martin Schulz hat sich am Montag Verstärkung mitgebracht. Das ist bei
der Steuerpolitik, die in Wahlkampfzeiten rasch zu einem Minenfeld
werden kann, immer ratsam. Rudolf Scharping blamierte sich 1994 als
SPD-Spitzenmann, weil er Brutto und Netto verwechselte. Der frühere
Verfassungsrichter Paul Kirchhof verglühte 2005 als
Schatten-Finanzminister der CDU, nachdem Gerhard Schröder den
«Professor aus Heidelberg» und dessen Steuerkonzept auseinandernahm.

So steht neben Schulz Olaf Scholz, der finanzpolitische Vordenker der
Partei. Dritter im Bund ist der hessische Landeschef Thorsten
Schäfer-Gümbel, der die Steuerarbeitsgruppe leitet, interner
Spitzname TSG. Schulz und Scholz sind vom konservativen Flügel, TSG
vom linken. Schulz und TSG untermauen das mit ein paar Frotzeleien.

Das ist insofern wichtig, als die steuerpolitische Marschroute der
SPD für den Bundestagswahlkampf in den eigenen Reihen heiß umkämpft

ist. Die Versuche der Reporter, diese Ambivalenz den drei
Spitzengenossen zu entlocken, scheitern. «Wir sind uns in der
Steuerkonzeption flügelübergreifend einig», behauptet Schulz.

Tatsächlich tritt die SPD seit Monaten für ihre Verhältnisse äu
ßerst
diszipliniert auf - obwohl der Schulz-Effekt verpufft ist, die Union
bis zu 15 Prozentpunkte vorne liegt und drei Landtagswahlen verloren
gingen. Bis zum Sonntagabend wurden die Steuerpläne immer wieder
durchgerechnet. Herausgekommen sind Ideen, die in der Gesamtschau
durchaus dem Anspruch von Schulz gerecht werden könnten, dass es bei
der Finanzierung des Gemeinwohls in Zukunft gerechter zugeht.

Topverdiener sollen eine Reichensteuer von 48 Prozent blechen - aber
erst bei einem zu versteuerndem Einkommen von 250 000 Euro für
Ledige. Hamburgs Bürgermeister Scholz, der von moderaten Plänen
spricht, muss keinen Aufschrei in Blankenese und an der Alster
fürchten.

Geringverdiener, Facharbeiter und Familien aus der Mittelschicht
sollen unter dem Strich mehr auf dem Lohnzettel übrig haben. Das will
die SPD erreichen, in dem der Soli-Steuerzuschlag für untere und
mittlere Einkommen ab 2020 abgeschafft wird (Entlastung: 10 Mrd.),
der Spitzensteuersatz später greift (Entlastung: 2 Mrd.). Der
Spitzensatz soll zugleich aber von 42 auf 45 Prozent erhöht werden.
Nur: Millionen Arbeitnehmer, die sehr wenig verdienen, zahlen gar
keine Einkommensteuer - wird die SPD ihrem Anspruch der
«Kleine-Leute-Partei» da gerecht?

Schulz hebt hervor, dass die SPD gerade für diese Gruppe
Sozialabgaben senken will. Alleinerziehende, die monatlich nur bis zu
1300 Euro nach Hause bringen, sollen künftig weniger Beiträge zu
Rente, Krankenkasse und Pflege bezahlen müssen - ohne dass ihre
späteren Ansprüche im Alter geschmälert werden.

Aber fehlt nicht noch etwas? Die Vermögensteuer taucht im
Schulz-Konzept nicht auf. Schäfer-Gümbel sagte im Namen der
Parteilinken, wichtiger und leichter durchsetzbar sei es, mehr Geld
beim Vererben von Firmenvermögen zu kassieren. Die Jusos
protestierten umgehend. Die Vermögensteuer müsse unbedingt ins
Wahlprogramm hinein, das am kommenden Sonntag beim Parteitag
in Dortmund beschlossen werden soll.

Schulz will sich von der Basis aber nichts diktieren lassen: «Wir
haben solide gerechnet und versprechen nichts, was wir nicht halten
können.» Er gehe davon aus, dass das Steuerkonzept mit einem
Entlastungsvolumen von 15 Milliarden Euro von der Partei so
akzeptiert werde. Die SPD will nicht mit kleinteiligem Streit davon
ablenken, dass die Union bei Steuern, Rente, Innere Sicherheit
bislang «blank» ist.

Bei der Kritik daran hält sich Schulz aber im Zaum: «Andere gehen
schweigend in die Zukunft», ist das Härteste, was er in Richtung
Union sagt. Für jemanden, der in drei Monaten Angela Merkel aus dem
Kanzleramt verdrängen will, wirkt das zahm. Dafür setzt Schulz auf
prominente Wahlkampfhilfe. So sind Treffen mit dem französischen
Präsidenten Emmanuel Macron und dem britischen Labour-Chef Jeremy
Corbyn geplant.

Aber erst einmal kommt Dortmund. Der im März mit 100 Prozent gewählte
Schulz muss am Sonntag beim Parteitag zeigen, dass trotz des
schmerzhaften Verlusts der Herzkammer NRW an Schwarz-Gelb sich der
Kampf um das Kanzleramt noch lohnt. Damit der nicht mehr ganz so
heiße Hauptact Schulz zieht, wird es gewissermaßen als Vorband die
«Gerd-Show» geben. Altkanzler und BVB-Fan Schröder will in der
Westfallenhalle ein Grußwort halten.