180-Grad-Wende: Denkmalschutz für einstige SED-Siedlung Wandlitz Von Georg-Stefan Russew, dpa

Die DDR-Führung wohnte abgeschirmt von ihrem Volk in der Waldsiedlung
Wandlitz bei Berlin. Der Ort gilt als Symbol für Machtmissbrauch und
moralisches Versagen der SED-Elite.

Bernau/Wandlitz (dpa) - Hermetisch abgeriegelt, abgehoben und fast
versteckt lebte die SED-Führung in der Waldsiedlung Wandlitz nahe
Berlin. Fast 28 Jahre nach dem Mauerfall ist von der Historie nicht
mehr viel zu sehen. Der grüne Zaun ist fast komplett verschwunden.
Autos drängeln sich über asphaltierte Wege der heutigen Reha-Klinik.
Patienten spazieren durch den Park und die Waldlandschaft. Als
markantes Element der DDR-Historie ist noch das gusseiserne
Eingangstor zu sehen. Das Ensemble der sanierten Einfamilienhäuser
der SED-Spitzenfunktionäre erinnert nur noch entfernt an die
abgeschottete Siedlung von einst.

Damit sich nachfolgende Generationen vom Politik- und Lebensstil der
SED-Machtelite, deren Privilegien und der Realität der
DDR-Bevölkerung ein Bild machen können, stellt das Land Brandenburg
jetzt Teile des SED-Privatrefugiums unter Denkmalschutz. Dazu gehören
das Eingangstor, die Villa des einstigen Machthabers Walter Ulbricht
samt Bibliothek sowie der frühere Funktionärsclub. Er ist heute ein
Kursaal, wie Klinikbetreiber Kurt-Josef Michels erklärt.

Damit vollzieht Brandenburg eine Wende. Einst hatte das Land den
Denkmalschutz-Status für das Areal abgelehnt. Begründung: Das
Gebäude-Ensemble habe keine architektonischen Besonderheiten. Zudem
sei der zentrale Charakter der Siedlung verschwunden, weil die
massive Umzäunung weg sei, erklärt der Sprecher des
Kulturministeriums, Stephan Breiding. Außerdem lag Anfang der 1990er
Jahre der Fokus auf dem Erhalt des baukulturellen Erbes Brandenburgs
aus früheren Zeiten. Inzwischen interessiere sich die Öffentlichkeit
aber wieder für die DDR-Historie.

Klinikbetreiber Michels freut sich: «Ich kann nur sagen, dass ich die
Unterschutzstellung begrüße.» Er habe sich fast drei Jahrzehnte mit
Denkmalschutzfragen allein gelassen gefühlt. Er hatte die
Waldsiedlung 1990 vom damaligen Landkreis Bernau übernommen. Zuvor
mussten alle SED-Funktionäre das Areal bis Ende Januar 1990
verlassen. Das DDR-Gesundheitsministerium quartierte alsbald
Reha-Patienten der DDR-Sozialversicherung ein.

Michels berichtet von einem Besuch mit dem damaligen
Rentenversicherungschef Herbert Rische. Das Urteil des
BfA-Präsidenten: «Die 23 Häuser entsprechen nicht unserem
Standard! Da müssen Sie bauen.» Michels erhielt ein Erbbaurecht für

99 Jahre, zog ein zentrales Klinikgebäude in der Waldsiedlung hoch
und sanierte 22 der 23 Funktionärshäuser. Um Denkmalschutz musste er

sich dabei wenig kümmern.

Rückendeckung erhielt er vom damaligen Potsdamer Ministerpräsidenten
Manfred Stolpe und seiner Gesundheitsministerin Regine Hildebrandt.
Der SPD-Politiker habe ihm erklärt, er könne mit den Häusern machen,

was er wolle, so Michels. Ulbricht habe die DDR quasi erfunden,
Honecker habe sie gegen die Wand gefahren, erinnert sich der
Unternehmer an die Worte Stolpes. Aber: «Lassen Sie mir das Haus
Ulbricht so zurück. Das wird in der Geschichte der DDR irgendwann
einen großen Stellenwert haben», habe ihm Stolpe ans Herz gelegt. Der
Zeitpunkt scheint jetzt gekommen zu sein.

Auf dem Areal ist ein Leitsystem mit Aufstellern und QR-Codes vor
wichtigen Gebäuden der SED-Waldsiedlung errichtet worden. Darüber
werde die Historie nachvollziehbar, sagt Historikerin Elke Kimmel,
die sich wissenschaftlich mit Wandlitz beschäftigt hat. Viele
DDR-Bürger hätten in der Waldsiedlung goldene Wasserhähne und
märchenhafte Verhältnisse vermutet. Nach der Wende kam aber schnell
Ernüchterung auf: «Für DDR-Verhältnisse war das schon Luxus, hatte

mit westlichem Lebensstil nur wenig zu tun», so Kimmel.