Der Krebs-Pionier, der selbst erkrankte Von Sara Lemel, dpa

Als Zehnjähriger verliert James P. Allison seine Mutter an den Krebs.
Später revolutionierte er dessen Behandlung. Auch er selbst blieb von
der Krankheit nicht verschont.

Tel Aviv (dpa) - Die Schrecken einer Krebserkrankung hat der
US-Forscher James P. Allison am eigenen Leib erfahren. Als
Zehnjähriger verlor er seine Mutter an die Krankheit. «Ich war bei
ihr, als sie starb», erzählt der Pionier der Immuntherapie, der am
Sonntag (11.6.) in Jerusalem mit dem renommierten Wolf-Preis
ausgezeichnet wird. Die Immuntherapie aktiviert die körpereigene
Abwehr im Kampf gegen Tumore.

«Sie hatte diese Verbrennungen am Hals, wegen der Bestrahlungen»,
sagt Allison über seine Mutter. Auch sein Onkel sei an Lungenkrebs
gestorben. Diese Erfahrungen als Kind hätten einen tiefen Eindruck
bei ihm hinterlassen, sagt der leise und bedächtig sprechende Mann
mit den langen, weißen Haaren in Tel Aviv.

Während seines Studiums der Mikrobiologie habe er sich dann sehr für
Immunologie interessiert. «Ich dachte damals nicht, hey, ich werde
ein Mittel gegen Krebs finden.» Er habe das Thema jedoch immer im
Hinterkopf behalten.

Bei seinen Forschungen an sogenannten T-Zellen stieß er auf einen
Mechanismus, der im Kampf gegen Krebstumoren helfen kann. Der
Immunologieprofessor vom MD Anderson Cancer Center in Houston
(US-Staat Texas) entwickelte die sogenannte Checkpoint-Therapie.
Dabei wird das Immunsystem «entfesselt», damit es selbst gegen den
Krebs vorgeht.

T-Zellen gehören zu den weißen Blutkörperchen und sind verantwortlich

für die erworbene Immunabwehr des Körpers. Sie sind in der Lage,
körperfremde Stoffe zu erkennen und zu bekämpfen. In gewissem Maße
klappt das auch bei den für das Immunsystem schwer zu
identifizierenden, weil körpereigenen Krebszellen.

Allison entdeckte bei seiner Grundlagenforschung eine der wichtigen
Komponenten bei der Steuerung von T-Zellen: Das Molekül CD28, das
aktiviert werden muss, um den «Startschuss» für die Immunreaktion z
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geben. «Es ist wie eine Art Gaspedal», erklärt Allison. «Dann
vermehren sie (die T-Zellen) sich rapide und erwerben die Fähigkeit,
Dinge zu töten.» Ihre Aktivität wird jedoch durch die Moleküle CTLA
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und PD1 gehemmt, um eine Überreaktion zu verhindern.

Die Checkpoint-Therapie hebt diese Bremse auf, so dass die T-Zellen
länger aktiv bleiben. Dies erhöht allerdings auch das Risiko von
Nebenwirkungen.

Besonders erfolgreich wurde die Behandlung bei schwarzem Hautkrebs
(Melanom) eingesetzt. Der von Allison mitentwickelte CTLA4-Hemmer
Ipilimumab kam 2011 in den USA auf den Markt. Später kam auch ein
PD1-Hemmer dazu.

Erste Studien zeigten eine Erfolgsrate von etwa 20 Prozent, spätere
Kombinationstherapien bei Melanomen sogar von 60 Prozent, wie Allison
erklärt. Heute gehe man auch gegen andere Krebsarten mit
Immuntherapie vor, allerdings mit unterschiedlichen Ergebnissen.

Er erzählt von einem dramatischen Erfolg bei einem Versuch mit einer
Patientin mit schwarzem Hautkrebs, der bereits gestreut hatte - für
gewöhnlich ein Todesurteil. «Im Jahr 2001 bekam sie eine einzige
Spritze mit dem Wirkstoff, und sie lebt immer noch, 16 Jahre später.»

«Es ist ein echter Durchbruch - früher wären die meisten Patienten
gestorben.» Man habe inzwischen Tausenden von Kranken helfen können.
Bei dem Treffen mit einer geheilten jungen Patientin sei er vor
Rührung in Tränen ausgebrochen, erzählt der Forscher. Die Medikamente

seien jedoch immer noch viel zu teuer. «Das muss sich ändern.»

Vor zwei Jahren bekam Allison bereits den Paul-Ehrlich-Preis - eine
der renommiertesten Auszeichnungen für Mediziner in Deutschland. Mit
dem Wolf-Preis solle er nun dafür gewürdigt werden, «dass er eine
Revolution der Krebsbehandlung ausgelöst hat», begründete die
israelische Stiftung ihre Entscheidung. Er habe «verstanden, dass man
das Krebswachstum mithilfe des Immunsystems schlagen kann, statt den
Krebs direkt anzugreifen».

Gegründet wurde die Wolf-Stiftung 1978 von dem in Deutschland
geborenen Erfinder, Diplomaten und Philanthropen Ricardo Wolf. Viele
der bisher ausgezeichneten Wissenschaftler bekamen später den
Nobelpreis. Auf die Frage, ob er nun auch darauf hoffe, winkt Allison
ab. «Ich denke wirklich nicht jeden Morgen beim Aufstehen an den
Nobelpreis. Ich bin einfach sehr froh, dass ich vielen Menschen
helfen konnte.»

Von der Geißel Krebs ist der 68-Jährige selbst auch nicht verschont
geblieben. «Mir wurde letztes Jahr ein Melanom an der Nase
abgenommen», sagt Allison und zeigt auf die Narbe. Außerdem sei er an
Blasenkrebs und Prostatakrebs erkrankt. Bisher habe er allerdings
nicht die Immuntherapie in Anspruch genommen. «Wenn man es früh
diagnostiziert, ist eine Operation immer noch das Beste», sagt er.
Die bösartigen Geschwulste seien jeweils entfernt worden. «Sollten
sie zurückkommen, würde ich aber sicherlich auf die Immuntherapie
setzen.»