Von Obama zu Trump: Merkels Balanceakt und Fragen nach dem Scheideweg Von Kristina Dunz und Theresa Münch, dpa

Erst spricht Merkel beim Kirchentag in Berlin mit Obama. Er
begeistert die Massen. Dann erlebt sie Trump bei der Nato. Er
brüskiert die Partner. Mehr Kontrast an einem Tag geht nicht.

Berlin/Brüssel (dpa) - Der Name kommt Barack Obama nicht über die
Lippen. Er muss Donald Trump aber auch gar nicht erwähnen, als er
beim Evangelischen Kirchentag am Brandenburger Tor spricht. Die
Menschen haben den neuen US-Präsidenten trotzdem vor ihrem geistigen
Auge. Zu groß ist der Kontrast. Obama bejubeln sie. Sein sicheres
Auftreten, seine Analysefähigkeit, sein Charme. Das haben sie
vermisst («we miss you»), seit er die Amtsgeschäfte im Januar an
Trump übergeben und sich dann rar gemacht hat.

Der Kanzlerin dürfte es ähnlich gehen an diesem Himmelfahrtstag, an
dem sie am Mittag mit dem 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten in
Berlin über Gott und die Welt und am Nachmittag mit dem 45. beim
Nato- Gipfel in Brüssel über Krieg und Rüstung spricht. Ein
Balanceakt.

Eine als kurzes Grußwort geplante Rede zur Einweihung eines ganz
besonderen Denkmals vor dem neuen Nato-Gebäude nutzt Trump
überraschend dafür, der Militärallianz den Marsch zu blasen. Er
wiederholt seine Beschimpfungen, viele Nato-Partner zahlten nicht
genügend Geld ein und hätten noch Schulden. Dabei ist der Punkt
eigentlich geklärt, weil es seit Jahren eine entsprechende
Beschlusslage gibt, bis wann die Mitglieder was aufbringen müssen.
Außerdem ist die Nato keine Sparkasse, bei der man Schulden hat.

Dann fordert Trump das Bündnis sogar zum Kampf gegen Zuwanderung auf.
Mit der Nato gegen Flüchtlinge? Andere Staats- und Regierungschefs
wirken irritiert. Sie tuscheln und schütteln mit dem Kopf, während
Trump noch redet. Eigentlich sollte er etwas dazu sagen, dass am Ort
des Nato-Hauptquartiers nun ein Überbleibsel des am 11. September
2001 von Terroristen in New York zerstörten World Trade Centers
steht. Gegenüber ein Stück der Berliner Mauer. Ein schönes Symbol.
Dafür, dass die Freiheit niemals besiegt werde, wie es
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagt.

Merkel hält ihr Grußwort kurz, setzt aber trotzdem klare Botschaften.
Sie fordert Vertrauen ein, dass «nicht Abschottung und nicht Mauern»
erfolgreich seien, sondern «offene Gesellschaften». Auch sie nennt
natürlich nicht Trump persönlich. Aber man darf das als Hieb gegen
den neuen Mann im Weißen Haus verstehen, der eine «America-First»-
Politik betreibt, gegen Freihandel wettert, kritischen Medien
Falschnachrichten vorwirft und zu Mexiko eine Mauer bauen möchte.

Am Brandenburger Tor mahnt sie zuvor: «Wir dürfen nicht immer in
Monaten denken, wir müssen in Jahren denken. Das hat mein Leben
geprägt.» So sei auch nach Jahren die Berliner Mauer wieder gefallen.
Obama sagt: «Wir können uns nicht hinter einer Mauer verstecken.»
Investitionen in die Heimatländer von Flüchtlingen seien auch
Investitionen in das eigene Wohlergehen.

Merkel und Obama spielen sich die Bälle zu. Als es Buh-Rufe gegen die
Christdemokratin gibt, weil sie das verschärfte Asylrecht umgesetzt
sehen will, springt ihr Obama bei. Jeder Regierungschef sei auch für
die eigene Bevölkerung verantwortlich, sagt er. Beide sprechen davon,
dass es nie «hundertprozentige Lösungen» gebe. Es würden immer Fehl
er
gemacht. In der Flüchtlingskrise sei nicht alles gut gelaufen, aber
Hunderttausende oder gar Millionen Menschen in Deutschland hätten
Mitgefühl gezeigt, «dass man etwas bewegen kann», sagt Merkel. Es
wird geklatscht - auch von Obama. Viele seiner Sätze beginnen mit:
«Wie Angela sagt (...)». Kein Nachteil für Merkel im Wahlkampf.

Während sich in Belgien Menschen als Freiheitsstatuen verkleiden und
gegen Trump demonstrieren, haben Kirchentags-Teilnehmer in Berlin
Tränen in den Augen, als Obama auf Deutsch nur «Guten Tag» sagt. Sie

klatschen, als er seine mühsam erkämpfte Gesundheitsreform verteidigt
und pauschal von der Bedrohung spricht, dass sie wieder abgeschafft
werden könnte. Jeder weiß, dass es Trump ist, der das will. Millionen
Amerikaner könnten ihre Krankenversicherung verlieren.

Obama erwähnt ihn aber auch nicht, als er auf Freiheitsrechte für
Religionen und Presse, auf Intoleranz, Nationalismus und
antidemokratische Strömungen verweist. Aber er sagt: «Das Wichtigste
ist, dass wir (...) Strömungen zurückdrängen, die Menschenrechte oder

Demokratie oder die Freiheit des Einzelnen zurückdrängen wollen.»
Dieser Kampf müsse geführt werden. Er betont: «Ich bin sehr stolz auf

meine Arbeit als Präsident.» Aber er sehe sich als «Staffelläufer
».
Jetzt habe er den Stab übergeben an den nächsten Läufer.

Obama ganz Sportsmann? Wohl kaum. Auffallend oft spricht er von
seiner Hoffnung in die jungen Menschen, die nächste Generation, die
er auch hier beim Kirchentag sehe. Die nächste Generation. Nicht die
des 70-jährigen Donald Trump.

Es ist Obamas größter öffentlicher Auftritt seit er mit seiner Frau
Michelle Washington verließ. Anhänger von ihm sind enttäuscht, dass
er sich trotz aller Turbulenzen um Trump so rar gemacht und
stattdessen an Urlaub und das große Geldverdienen durch Vorträge
gedacht hat. Obama sagt: «Ich habe vor allem versucht, Schlaf
nachzuholen.» In den acht Jahren seiner Amtszeit ist er gealtert,
grau geworden. Darüber macht der 55-Jährige selbst schon Scherze. In
Berlin ist er hellwach und warmherzig. «Welcome home» (Willkommen
Zuhause) ist die Aufschrift auf einem Plakat.

Die Nato-Partner wissen noch nicht, wohin die Reise mit Trump gehen
wird. Erst wollte er sich in Kriege nicht groß einmischen, dann ließ
er einen Stützpunkt der syrischen Armee bombardieren sowie nach
eigenen Worten die «Mutter aller Bomben» in Afghanistan abwerfen.
Eine Antwort von Obama wirkt noch nach: «Die Weltordnung befindet
sich am Scheideweg.»