Ersatzkassen-Chef rechnet mit höherem Zusatzbeitrag für Versicherte Von Oliver von Riegen, dpa

Der Zusatzbeitrag für die gesetzlich Krankenversicherten ist im
Wahljahr stabil. Doch wie wird er sich danach weiterentwickeln? Das
wird unterschiedlich eingeschätzt.

Berlin (dpa) - Trotz des Finanzpolsters der gesetzlichen
Krankenkassen rechnet der Chef des Ersatzkassenverbands, Uwe Klemens,
mit einer möglichen Mehrbelastung für die Versicherten nach dem
Bundestagswahljahr. «Ich gehe von einem Zusatzbeitrag von 1,8 bis 2
Prozent in den nächsten drei Jahren aus», sagte Klemens, der auch
Verwaltungsratschef des GKV-Spitzenverbands ist, der Deutschen
Presse-Agentur. «Wir haben ungefähr vier bis fünf Milliarden Euro
Zusatzkosten pro Jahr, die durch die Umsetzung des
Koalitionsvertrages jetzt schon zum Tragen kommen.» Als Beispiele
nannte er die Gesetze zur Pflegestärkung, Veränderungen in der
Arzneimittelversorgung und das Krankenhausstrukturgesetz.

Die Bundesregierung sieht das anders und verweist auf das
Geldpolster. «Die Krankenkassen haben Finanzreserven von 16
Milliarden Euro momentan», sagte Ministeriumssprecherin Katja Angeli
am Mittwoch auf Anfrage in Berlin. Das seien gute Reserven, die es
auch ermöglichten, die Versicherten daran teilhaben zu lassen. Die
Entwicklung des Zusatzbeitrags werde im Oktober vom sogenannten
Schätzerkreis ermittelt. «Dann sind seriöse Aussagen für das näch
ste
Jahr möglich.»

Der allgemeine Beitragssatz von 14,6 Prozent, der gesetzlich fixiert
ist, wird je zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen.
Dazu kommt der Zusatzbeitragssatz. Ihn zahlen allein die rund 55
Millionen Kassenmitglieder. Im Bundestagswahljahr soll er nach einer
Schätzung von Oktober 2016 im Schnitt bei 1,1 Prozent stabil bleiben.
Die gesetzliche Krankenkasse KKH hob ihren Zusatzbeitrag zum 1. April
um 0,3 Prozentpunkte auf 1,5 Prozent an. Zum 1. Januar hatten bereits
27 meist kleinere Kassen ihre Zusatzbeiträge erhöht.

Der GKV-Spitzenverband geht vorerst nicht von einer Änderung aus.
«Für das laufende Jahr erwartet der Schätzerkreis im Durchschnitt
einen stabilen Zusatzbeitrag, was insgesamt auch wahrscheinlich ist»,
teilte Sprecher Florian Lanz mit. «Wenn im Sommer die endgültigen
Finanzergebnisse für 2016 vorliegen und die Zahlen für das erste
Quartal 2017, werden wir als GKV-Spitzenverband unsere Einschätzungen
für die weitere Finanzentwicklung und damit auch für die
Zusatzbeiträge konkretisieren.»

Im vergangenen Jahr hatten die gesetzlichen Kassen ein Finanzplus von
rund 1,4 Milliarden Euro eingefahren. Damit stieg das Geldpolster der
Kassen nach Angaben von Ende Februar auf 15,9 Milliarden Euro. Damals
hieß es, mit diesem Finanzplus sinke die Wahrscheinlichkeit, dass die
Zusatzbeiträge der Kassen im kommenden Jahr auf breiter Front
steigen. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hatte den Kassen im
Wahljahr zusätzliche 1,5 Milliarden Euro aus der Reserve des
Gesundheitsfonds zukommen lassen.

Der Bundesverband der AOK (Allgemeine Ortskrankenkassen) sieht
«keinen Grund zu übermäßiger Euphorie». «Die Beiträge bleib
en 2017
größtenteils stabil, die Rücklagensituation ist robust und die
Ausgabentendenz moderat», erklärte Sprecher Kai Behrens. «Aber man
muss auch kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass sich das Blatt
2018 wendet. Dann schlägt die Ausgabenwucht der vielen teuren
Gröhe-Reformen etwa in den Bereichen Krankenhaus, Arzneimittel oder
Prävention voll durch.» Der Gesundheitsminister habe sich zudem «die

Ruhe im Wahljahr durch das Anzapfen der Liquiditätsreserve erkauft».

Die zweitgrößte Ersatzkasse, die Barmer, blickt beim Zusatzbeitrag
nach Angaben ihres Sprechers Daniel Freudenreich positiv in die
Zukunft. Der durchschnittliche Beitragssatz in der gesetzlichen
Krankenversicherung geht aus Sicht der Barmer ab 2018 im Schnitt um
etwa 0,2 Punkte pro Jahr nach oben, wenn die Politik nicht
gegensteuert. Maßgeblich dafür sei unter anderem der medizinische
Fortschritt. «Hinzu kommt, dass die große Koalition eine Reihe von
Gesetzen wie die Krankenhausreform beschlossen hat, die in den
kommenden Jahren die Ausgaben für die gesetzliche Krankenversicherung
beträchtlich ansteigen lassen.»

Der Linke-Vorsitzende Bernd Riexinger verlangte die Rückkehr zur
paritätischen Krankenkassenfinanzierung - also ohne Mehrbelastung für
Versicherte. «In Deutschland gibt es längst eine
Zwei-Klassen-Medizin. Die Herkunft und der Geldbeutel haben massiven
Einfluss auf die Gesundheit», sagte er der «Abendzeitung München»
(Donnerstag). Die Zusatzbeiträge müssten in gleichen Teilen vom
Arbeitgeber mitfinanziert werden.