Sozialwahl: Wie viel Einfluss haben die Vertreter der Versicherten? Von Ruppert Mayr, dpa

Die Sozialwahl ist für viele Versicherte ein Buch mit sieben Siegeln.
Wer wird gewählt? Was bringt die Wahl? Der Sozialwahl fehlt ganz
offensichtlich die nötige Transparenz.

Berlin (dpa) - Die Bundesbeauftragte für die Sozialwahlen, Rita
Pawelski, war sichtlich sauer. Einige Kommunen weigerten sich,
Werbung für die Sozialwahl 2017 zu machen, darunter München, Nürnberg

und Braunschweig oder Dresden, Erfurt und Magdeburg. Eine
Unverschämtheit, sei doch die Wahl vom Gesetzgeber vorgegeben, sagte
Pawelski am Dienstag beim Wahlauftakt. Das Ärgernis für die
Bundesbeauftragte sagt auch etwas über das Image der Sozialwahl. Sie
ist zwar nach Bundes- und Europawahl die drittgrößte Wahl im Lande,
aber hat eine Wahlbeteiligung von nur rund 30 Prozent.

Was ist die Sozialwahl?

Die gesetzlichen Sozialversicherungen sind selbstverwaltet. Das
heißt, sie sind keine staatlichen Behörden, sondern eigenständige
Körperschaften und haben deshalb ihre eigenen Parlamente. Bei der
Sozialwahl wählen Rentenversicherte und Rentner sowie
Krankenkassenmitglieder die Vertreterversammlung sowie den
Verwaltungsrat. Der Gesetzgeber hat die Sozialwahl seit 1953 alle
sechs Jahre als festen demokratischen Bestandteil in Deutschland
verankert. Die Sozialwahl ist eine reine Briefwahl. Die
Wahlunterlagen werden in diesen Tagen per Post zugestellt. Stichtag
ist 31. Mai 2017.

Wer wird gewählt?

Bei der Sozialwahl kandidieren Versicherte. Die Kandidaten werden
aber nicht direkt gewählt, sondern sie treten gemeinsam in Listen an.
Die Zusammenstellung der Listen übernehmen Organisationen wie
Gewerkschaften oder andere Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- und
berufspolitischen Zielen. Versicherte können auch Freie Listen
aufstellen. Alle gewählten Vertreter engagieren sich ehrenamtlich.

Ist das Verfahren transparent genug?

Nein, sagt Pawelski. Auf Arbeitgeberseite gibt es nämlich regelmäßig

nur eine einzige Kandidatenliste, die dann automatisch gewählt wird.
Auch auf Versichertenseite wird häufig für ein Parlament nur eine
einzige Liste ausgekungelt, vorzugsweise von Gewerkschaften. Nur zehn
Renten- und Krankenversicherungsträger bitten zur Sozialwahl 2017.
Die anderen machen eine sogenannte Friedenswahl ohne echten Wahlgang.
Sie kungeln eine Kandidatenliste aus, die dann gewählt wird «ohne
Wahlhandlung», wie das genannt wird. Das klingt wenig demokratisch.

Was machen die gewählten Vertreter?

In Deutschland legt der Gesetzgeber die Rahmenbedingungen für das
Renten- und Krankenversicherungssystem fest. Die Selbstverwaltung
füllt diesen Rahmen aus. Sie befinden unter anderem über oft
milliardenschwere Haushalte, die Gestaltung neuer Leistungen, über
Zusatzbeiträge oder auch über Fusionen. Dann hört es aber auch fast
schon auf. Die Rentenversicherung etwa hat wenig Einfluss auf
Rentenhöhe und Beitragsätze für die Versicherten.

Den Krankenkassen wird zwar auch der überwiegende Teil der Leistungen
vorgeschrieben. Doch die Vertreterversammlung kann darüber hinaus
zusätzliche Leistungen beschließen. Einige Kassen bezuschussen etwa
künstliche Befruchtung. Zudem können sie die Zusatzbeiträge
festlegen, den die Mitglieder allein aufbringen müssen. Doch selbst
beim Zusatzbeitrag zeigt das Gesundheitsministerium durch seine
Schätzerprognose Grenzen auf.

Wie ist der politische Einfluss der Parlamente?

Grundsätzlich werden die Versicherungsträger bei politischen
Entscheidungen wie Sozialreformen gefragt. Doch in den Parlamenten
haben Vertreter von Rentenversicherten und Rentnern sowie
Krankenversicherungsmitgliedern auf der einen und Vertreter der
Arbeitgeber auf der anderen Seite in der Regel im Verhältnis 15 zu 15
Sitz und Stimme. Dieses Stimmverhältnis kann sich gegenseitig
blockieren, so dass politischer Einfluss begrenzt bleibt.

Wiederholt beklagte die Rentenversicherung ohne Erfolg, dass zur
Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben wie der
Ost-West-Rentenangleichung bis 2025 oder der Mütterrente nicht die
Staats-, sondern die Rentenkasse mit Milliardensummen herhalten
müsse. Zur Zeit streiten sich Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite um
das mittel- und langfristige Rentenniveau.

Wer ist bei wem wahlberechtigt und wie wird gewählt?

2017 bestimmen zwischen 51 und 52 Millionen Versicherte und Rentner
darüber, wer bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, der Deutschen
Rentenversicherung Saarland und bei den Ersatzkassen Barmer, TK,
DAK-Gesundheit, KKH und hkk in den Parlamenten sitzt. Wahlberechtigt
ist, wer am 1. Januar 2017 das 16. Lebensjahr vollendet hat.

Wie könnte die Wahlbeteiligung erhöht werden?

Mehr Transparenz, weniger Mauscheln, mehr Aufklärung, mehr Urwahlen
bei den Versicherungsträgern und neue Wahlmöglichkeiten.
Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) sagt, mittelfristig sollten vor
allem junge Wahlberechtigte online wählen können. Der Sozialstaat und
die Sozialwahl sollten auf der Höhe der Zeit sein.