Abgas-Ärger und kein Ende: Diesel noch schmutziger als gedacht Von Teresa Dapp, dpa

Es galt mal als umweltbewusst, sich einen Diesel statt eines
Benziners zu kaufen - weil er weniger Sprit verbraucht. Seit dem
Abgas-Skandal ist das anders, nun reden alle über Stickoxid. Neue
Zahlen des Umweltbundesamts verdeutlichen die Dimension des Problems.

Berlin (dpa) - NOx - noch vor eineinhalb Jahren kannten die wenigsten
Deutschen diese Abkürzung. Jetzt stehen gesundheitsschädliche
Stickoxide für den schweren Image-Schaden, den der Diesel erlitten
hat. Neue Zahlen der obersten deutschen Umweltbehörde zeigen: Auch
was bei neuen Diesel-Modellen aus dem Auspuff kommt, hat wenig mit
dem zu tun, was auf dem Papier steht. Das bedeutet neuen Ärger für
Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU).

Was hat das Umweltbundesamt herausgefunden?

Euro-6-Diesel, die der jüngsten Abgasnorm entsprechen, stoßen viel
mehr Stickoxide aus, als sie sollten. Der Labor-Grenzwert liegt bei
80 Milligramm pro Kilometer, im Alltag sind es aber 507 - mehr als
sechs Mal so viel. Am schmutzigsten sind Euro-5-Diesel mit einem
NOx-Ausstoß von 906 Milligramm, dem Fünffachen des Grenzwerts von 180
Milligramm. Euro-4-Diesel, für die ein Grenzwert von 250 Milligramm
gilt, blasen 674 Milligramm Stickoxid pro Kilometer in die Luft. «Der
Stickoxid-Ausstoß in Deutschland liegt damit um ein Drittel höher als
angenommen», sagt UBA-Chefin Maria Krautzberger. Die Lufttemperatur
habe einen größeren Einfluss auf die Werte als gedacht.

Aber sind diese Grenzwert-Überschreitungen denn nicht verboten?

Nein - bisher reicht es, wenn die Autos unter den ganz besonderen
Bedingungen im Labor die gültigen Grenzwerte einhalten.

Um welche Pkw-Modelle geht es?

Dazu macht das UBA keine Angaben, weil es dem Amt darum geht, ein
Gesamtbild der Diesel-Flotte in Deutschland zu zeichnen.

Warum sind Stickoxide ein Problem?

Die Gase können Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen oder
Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen.
Pflanzen und Böden werden von Stickstoffoxiden auch geschädigt. Sie
tragen außerdem zur Bildung von Feinstaub und bodennahem Ozon bei.
Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur hat Sickstoffdioxid 2012
in Deutschland 10 400 vorzeitige Todesfälle verursacht. An mehr als
jeder zweiten Messstation an stark befahrenen Straßen in Deutschland
wurde 2016 der Stickstoffdioxid-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro
Kubikmeter im Jahresmittel überschritten.

Was wird in der EU getan, um das NOx-Problem zu lösen?

Künftig wird der Ausstoß nicht mehr nur im Labor gemessen, sondern
auf der Straße über sogenannte RDE-Prüfverfahren. Für neue
Fahrzeugtypen gilt das ab September 2017, für alle Neuwagen ab
September 2019. In einem gewissen Umfang sind Abweichungen von den
Grenzwerten erlaubt. Die Brüsseler EU-Kommission hat außerdem
Deutschland wiederholt Verstöße gegen europäische Standards für die

Luftqualität vorgeworfen. Mehrere Verfahren wegen mutmaßlicher
Verletzungen von EU-Recht sind gegen die Bundesregierung im Gange.
Dabei geht es unter anderem um Feinstaub und Stickoxide.

Und in Deutschland?

Es gibt hierzulande 54 Umweltzonen, in 53 davon dürfen nur Autos mit
«Grüner Plakette» fahren. Außerdem setzen Städte auf Tempolimits
oder
Durchfahrtverbote für Lastwagen. Stuttgart, wo die Belastung
besonders hoch ist, hat Fahrverbote eingeführt: Fahrzeuge ohne die
strengste Abgasnorm Euro 6 dürfen ab 2018 bei Feinstaubalarm auf
besonders belasteten Straßen nicht mehr fahren.

Wie sieht es aus mit der «Blauen Plakette»?

Da kommen Verkehrs- und Umweltminister bisher in Bund und Ländern auf
keinen gemeinsamen Nenner. Der Deutsche Städtetag fürchtet, dass EU
und Gerichte Kommunen zu Fahrverboten zwingen könnten - und forderte
daher am Dienstag erneut die «Blaue Plakette», «damit im Falle von
Fahrverboten ein Instrument für deren Kontrolle vorhanden ist».

Warum steht Verkehrsminister Dobrindt in der Kritik?

Umweltschützer und die Opposition im Bundestag werfen ihm vor, dass
er stärkere EU-Kontrollen der nationalen Aufsichtsbehörden wie
Kraftfahrt-Bundesamt ebenso blockiere wie schärfere Sanktionen bei
Verstößen gegen Grenzwerte - das Ministerium schweigt dazu.
Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) will zudem, dass Dobrindt
die Autoindustrie stärker in die Pflicht nimmt. Hersteller müssten
Fahrzeuge auf eigene Kosten so nachbessern, dass die realen
Emissionen im Durchschnitt um mindestens die Hälfte gesenkt würden.

Und was sagt die Autobranche dazu?

Der Branchenverband VDA begrüßt die beschlossenen Reformen der
Abgas-Messung, hält Nachrüstungen aber für schwer möglich: «Aus
wirtschaftlicher Sicht lässt sich eine Nachrüstung auf Euro 6 kaum
darstellen.» Hersteller prüften derzeit, wie eine Verbesserung bei
den Emissionen von Euro-5-Autos in der Stadt zu erreichen sei. Zudem
erinnert die Branche an den Grund, aus dem Diesel einst als sauberer
galten als Benziner: «Er verbraucht bis zu 25 Prozent weniger
Kraftstoff als ein Benziner, und sein CO2-Ausstoß ist 15 Prozent
niedriger.» Damit seien Diesel für den Klimaschutz unverzichtbar.