Facebook will Menschen direkt mit dem Gehirn tippen lassen Von Andrej Sokolow, dpa

Es klingt wie Science-Fiction, aber Facebook arbeitet wirklich daran:
Das Online-Netzwerk forscht an einer Technologie, mit der Menschen
ihre Gedanken ohne Umweg über eine Tastatur direkt aus dem Kopf
online bringen könnten. Gedanken ausspionieren werde man aber nicht.

San Jose (dpa) - Facebook will Menschen direkt aus dem Gehirn heraus
Worte in Computer schreiben lassen. Damit wäre es zum Beispiel
möglich, einem Freund eine Textnachricht zu schicken, ohne dafür das
Smartphone herausholen zu müssen, sagte Facebook-Managerin Regina
Dugan auf der hauseigenen Entwicklerkonferenz F8. Dafür sollen
Gehirnströme ausgewertet werden. Das aktuelle Ziel sei, auf eine
Schreibgeschwindigkeit von 100 Worten pro Minute zu kommen. Dies
könne in einigen Jahren erreicht werden. Es gehe nicht darum, wahllos
Gedanken zu lesen, versicherte Dugan.

Sie verwies auf aktuelle Forschungen an der Stanford-Universität, in
denen eine gelähmte Frau dank mehreren Elektroden im Gehirn, «so groß

wie eine Bohne», acht Worte pro Minute in den Computer schreiben
könne, Buchstabe für Buchstabe. Die Elektroden erkennen die Aktivität

der Neuronen, wenn sie einen Cursor auf dem Bildschirm vor ihr
bewegen wolle, um einen bestimmten Buchstaben einzutippen.

Für einen massenhaften Einsatz der Technologie seien Implantate aber
nicht geeignet, es müsse sehr empfindliche Sensoren auf der
Oberfläche des Kopfs geben, die Gehirnaktivität «hunderttausende Male

pro Sekunde auf den Millimeter genau» überwachen. «Solche Technologie

existiert heute nicht. Wir werden sie erfinden müssen», sagte Dugan.
Bei Facebook arbeite ein Team aus 60 Forschern an dem Projekt.

Mit der Zeit solle es nicht mehr nötig sein, im Kopf Worte aus
einzelnen Buchstaben zu bilden. Ein Nebeneffekt davon könne auch
sein, dass sich Menschen in anderen Sprachen ausdrücken könnten, ohne
sie zu lernen, sagte Dugan. So könnte zum Beispiel der Gedanke an
eine Tasse direkt mit dem entsprechenden Fremdwort in Spanisch oder
Chinesisch umgesetzt werden. «In ihrem Kopf ist eine Tasse nicht ein
Etikett mit dem Wort darauf, sondern ein von Menschen geschaffener
Gegenstand, den man in der Hand halten und daraus Flüssigkeiten
trinken kann», erklärte die Facebook-Managerin. «Eines nicht so
fernen Tages könnte es sein, dass ich auf Chinesisch denke und Sie es
sofort auf Spanisch fühlen.»

Es gehe zugleich auf keinen Fall darum, wahllos Gedanken von Menschen
zu lesen, betonte Dugan. Dazu dürfe niemand das Recht haben. Ähnlich
wie man viele Fotos mache und nur einige davon anderen zeige, «haben
Sie viele Gedanken und beschließen, nur einige davon zu teilen». Nur
solche Gedanken, die an das Sprachzentrum weitergeleitet würden,
seien gemeint. Facebook macht seine Milliardengewinne mit direkt auf
die Nutzer zugeschnittener Werbung - und allein schon die Idee, dass
Anzeigen an Gedanken angepasst werden könnten, dürfte Politiker,
Datenschützer und Nutzer auf die Barrikaden treiben.

Nicht nur Facebook macht sich gerade Gedanken über eine solche
Technologie. Auch Tech-Milliardär Elon Musk erforscht in einer neuen
Firma, wie das menschliche Gehirn direkt mit Computern vernetzt
werden könnte. Der 45-Jährige sei an dem Unternehmen Neuralink
beteiligt, das entsprechende Elektroden entwickeln will, hatte das
«Wall Street Journal» Ende März berichtet.

Musk, Chef des Elektroautobauers Tesla und der Weltraumfirma SpaceX,
hatte bereits bei einem Konferenz-Auftritt im vergangenen Jahr
gesagt, dass er künstliches Nervengewebe zum Verbinden mit Computern
für eine wichtige Zukunftstechnologie halte. Das könne Menschen
helfen, mit der künftigen künstlichen Intelligenz mitzuhalten, vor
deren möglichen Übermacht Musk mehrfach warnte. Musk sprach damals
von einem «direkten Interface zur Hirnrinde», insgesamt blieb er aber
vage. Deshalb war zunächst unklar, ob es sich bei seinen Ausführungen
um ein konkretes Projekt oder eine Technik-Fantasie handelte.

Die 54-Jährige Dugan war vor Facebook bei Googles Zukunftslabor und
der Forschungsagentur DARPA des US-Verteidigungsministeriums. Bei
Facebook leitet sie die Innovationsabteilung «Building 8».

Zur Zukunftsvision von Facebook gehört auch die sogenannte erweiterte
Realität, bei der virtuelle Objekte auf einem Bildschirm in reale
Umgebungen eingeblendet werden. Als ersten Chef will Gründer und Chef
Mark Zuckerberg für die «Augmented Reality» (AR) die allgegenwärtig
en
Smartphones nutzen. Der Forschungschef der auf virtuelle Realität
spezialisierten Facebook-Firma Oculus, Michael Abrash, skizzierte auf
der F8 aber auch eine Zukunft, in der man dauerhaft mit AR-Brillen
unterwegs ist, die zusätzliche Informationen einblenden. So könnte
zum Beispiel beim Blick auf ein Eis die Frage erscheinen, ob zum
täglichen Bewegungsziel zwei Kilometer hinzugefügt werden sollten.

«Der wahre Durchbruch wird kommen, wenn die reale und die virtuelle
Welt sich frei vermischen können werden, egal, was wir machen, egal,
wo wir sind - so dass die virtuelle Welt einfach zum Teil unserer
täglichen Realität wird», sagte Abrash. Bis dahin könnten aber
Jahrzehnte vergehen.

Das Hauptprogramm der F8 stellte in diesem Jahr stark technische
Zukunftsvisionen in den Vordergrund, während die aktuellen Probleme
von Facebook wie Hassrede oder gefälschte Nachrichten nur am Rande
zur Sprache kamen. Zugleich war der Anfang der Konferenz davon
überschattet worden, dass ein Mann in den USA am Wochenende einen
Passanten ermordete und ein Video der Tat bei Facebook hochlud. In
einzelnen Konferenz-Events wiederholten Facebook-Manager die jüngsten
Ankündigungen, härter gegen Fake News und hetzerische Inhalte
vorzugehen.