Gesundheitskarte für Flüchtlinge hängt ganz vom Wohnort ab Von Elena Metz und Peter Zschunke, dpa

Nicht nur Länder-, sondern auch Gemeindegrenzen entscheiden darüber,
welchen Zugang Asylbewerber zu Ärzten haben. Wo die elektronische
Gesundheitskarte eingeführt wurde, überwiegen die positiven
Erfahrungen. Viele Kommunen aber haben weiter Bedenken.

Hannover/Mainz (dpa) - Die meisten Asylbewerber in Deutschland müssen
erst zum Amt, bevor sie bei einer akuten Erkrankung einen Arzt
aufsuchen dürfen. In einigen Bundesländern dürfen sie sich mit einer

elektronischen Gesundheitskarte sofort in Behandlung begeben - jedoch
vielerorts nur in einzelnen Städten und Landkreisen. Eine
einheitliche Regelung? Fehlanzeige. Eine Chance dafür gebe es
allenfalls, wenn es nach der Bundestagswahl eine neue Konstellation
geben sollte, meint Stefan Etgeton, der für die Bertelsmann-Stiftung
die medizinische Versorgung von Flüchtlingen im Blick hat.

«Durch den Rückgang der Flüchtlingszahlen ist der Druck raus für
grundlegende Veränderungen», sagt Etgeton im Gespräch mit der
Deutschen Presse-Agentur. «Das würde sich ändern, wenn sich der
Zustrom wieder erhöhen würde.» Nach den bisherigen Erfahrungen habe
sich die Befürchtung, dass die Gesundheitskarte für Flüchtlinge zu
Mehrkosten bei den Kommunen führen werde, nicht bestätigt.
Stattdessen gebe es Effizienzgewinne und Einsparungen für die
Verwaltung. «Es ist eine Frage der Menschenwürde, aber auch der
Effizienz.»

Die Kommunen kommen ins Spiel, sobald Asylbewerber die Erstaufnahme
verlassen, die in der Verantwortung der Bundesländer liegt. Wird
danach medizinische Betreuung nötig, sind die Kommunen für die ihnen
zugewiesenen Flüchtlinge zuständig. Das Gesetz sieht Leistungen «zur

Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände» vor. Eine eigene
Krankenversicherung für Asylbewerber gibt es erst nach 15 Monaten.

Pionier bei der Gesundheitskarte für Flüchtlinge ist Bremen. Dort
erhalten Asylbewerber seit 2005 direkt nach ihrer Registrierung eine
Gesundheitskarte der AOK. «Die Karte macht den Arztbesuch für
Flüchtlinge unkomplizierter», sagt Sozial- und Integrationssenatorin
Anja Stahmann (Grüne). «Damit sinkt auch die Hürde, zum Arzt zu
gehen, und Krankheiten werden nicht verschleppt.» Mit dem Vorlegen
der Karte werde ein Asylbewerber so behandelt wie jeder andere
Patient. Und: «Wir haben auch eine bessere Kostenkontrolle: Die
Krankenkasse kann sinnvoll bewerten, ob die Ausgaben medizinisch
notwendig waren. Für Verwaltungsbeamte in der Sozialbehörde ist das
viel schwieriger.»

Hamburg folgte 2012 der Bremer Regelung. In Nordrhein-Westfalen und
Schleswig-Holstein können Flüchtlinge seit 2015 eine Gesundheitskarte
erhalten, in Berlin seit Januar 2016. In Thüringen ist es seit Anfang
2017 soweit. Die elektronische Gesundheitskarte für Asylbewerber und
Geflüchtete mit einer Duldung entspricht dort auch einer Forderung
der Ärzte, die sich davon weniger Abrechnungsaufwand versprechen.
Noch nichts oder nur wenig passiert ist in Hessen, Baden-Württemberg,
Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt. Bayern ist
gegen eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge.

In mehreren Bundesländern haben die Landesregierungen eine
Vereinbarung mit den Krankenkassen geschlossen, die eigentliche
Einführung liegt aber bei den Kommunen. Damit wird der Flickenteppich
der Versorgung noch verwirrender. So wird etwa die Einführung der
Gesundheitskarte in Brandenburg von sechs Landkreisen und der Stadt
Frankfurt (Oder) abgelehnt.

In Niedersachsen ist Delmenhorst die einzige Kommune, die bislang
eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge eingeführt hat. Seit Anfang
Januar wurden dort mehr als 500 Karten ausgegeben, in Zusammenarbeit
mit der Krankenkasse Barmer GEK. In Hannover gab es eine Anhörung im
Sozialausschuss, eine Entscheidung steht noch aus.

Auch in Rheinland-Pfalz hat es lange gedauert, bis sich die ersten
Kommunen zu diesem Schritt entschlossen haben. Inzwischen sind es
drei: Trier, Mainz und der Landkreis Kusel. Das Verfahren mit dem
Schein vom Amt «diskriminiert Flüchtlinge, es verhindert unter
Umständen eine notwendige zeitnahe medizinische Behandlung, erfordert
Personal- und Sachmittel auf kommunaler Ebene und überfordert ein
medizinisch ungeschultes Personal», sagt Gesundheitsministerin Sabine
Bätzing-Lichtenthäler (SPD).

Städte und Kreise haben aber weiterhin Bedenken: «Wir haben einen
sehr detaillierten Kostenvergleich aufgestellt und sind zu dem
Ergebnis gekommen, dass die Gesundheitskarte für Flüchtlinge einen
deutlichen Mehraufwand bedeutet gegenüber der Organisation mit
eigenem Personal bedeutet», sagt der Pirmasenser Oberbürgermeister
Bernhard Matheis (CDU).

Im Ergebnis stellt sich die Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge in
Deutschland als Flickenteppich dar, bei dem der zugewiesene Wohnort
über einen guten oder weniger guten Zugang zum Gesundheitssystem
entscheidet, wie die Forscher der Bertelsmann-Stiftung kritisieren.
«Die Idee, Asylsuchenden einen direkten Zugang zum Gesundheitssystem
zu verschaffen, ist in die Mühlen der föderalen Strukturen und
widersprüchlichen Kostenträgerinteressen geraten und wird darin
aufgerieben.»