Ausnahme-Professor Hollmann: Mit 92 Jahren noch an der Uni Von Olivia Konieczny, dpa

Wildor Hollmann trainiert zweimal pro Woche im Fitnessstudio und
steigt täglich 200 Treppenstufen. Seit September nimmt er
Tanzstunden. Und: Der bekannte Sportmediziner hält noch immer
Vorlesungen in der Uni - mit 92 Jahren.

Köln (dpa) - Wenn Wildor Hollmann seine Vorlesung hält, sitzen die
Studierenden auf dem Boden, drängen sich auf den Fensterbänken. Kein
Platz bleibt frei. Die Studenten müssen keinen Schein machen, auch
keine Prüfung. Sie kommen aus Interesse, wollen dem bekannten
Sportmediziner zuhören. Der Professor ist 92 Jahre alt und längst
emeritiert. Ans Aufhören denkt er nicht.

Am kommenden Dienstag startet das Sommersemester. Dann wird Hollmann
an der Deutschen Sporthochschule in Köln wieder seine Sondervorlesung
halten, in der er «allgemeines akademisches Grundlagenwissen»
vermittelt. Das fängt laut Hollmann mit nichts Geringerem an als der
Entstehung des Weltalls. Weiter geht es mit der Entstehung der Sonne,
der Erde, des Lebens, des Menschen.

«Ich will aus sogenannten Fachidioten Menschen machen, die sich im
allgemeinen Leben auskennen», sagt Hollmann. Für seine Studenten hat
er viel übrig - das sei der Grund, warum er noch doziere. «Weil es
mir riesige Freude macht, mit jungen Menschen zusammenzuarbeiten.»
Doch Allgemeinbildung, Geschichtswissen, das bräuchte man von
Bachelor- und Masterstudierenden heute nicht erwarten. Deshalb streue
er immer mal wieder ein paar historische Fakten ein.

Dass Professoren nach der Emeritierung ihren Instituten verbunden
bleiben und ihre Expertise anbieten, sei durchaus üblich, erläutert
das NRW-Bildungsministerium. Statistiken dazu würden nicht geführt,
heißt es beim Deutschen Hochschulverband (DHV). «Ungeachtet dessen
bleibt Herr Professor Hollmann eine Ausnahmeerscheinung», sagt
DHV-Sprecher Matthias Jaroch.

Hollmann trägt das grau melierte Haar zur Seite gekämmt. Dazu Anzug,
Krawatte. Er ist ein Gentleman alter Schule, der einer Frau die Tür
aufhält. Auf dem Schreibtisch in seinem Büro liegt eine schwarze
Aktentasche. Das abgegriffene Leder zeugt von vielen gemeinsamen
Jahren. Hollmann, geboren 1925 in Menden im Sauerland, hat ein
bewegtes Leben hinter sich und eine steile Karriere.

Er ist Arzt, Forscher, Macher. Als junger Mann studiert er in Köln
Medizin, promoviert. 1958 gründet er in Eigenregie das Institut für
Kreislaufforschung und Sportmedizin, indem er einen Raum in der
Sporthochschule mietet. Heute ist das Institut international
angesehen. Hollmann übernimmt 1965 den Lehrstuhl für Kardiologie und
Sportmedizin, wird 1970 Rektor der Sporthochschule.

Durch seine Studien über den Einfluss von Sport auf Gesundheit und
Leistungsfähigkeit kommt Hollman zu Weltrang. Es folgen Jahre mit
vielen Ämtern: Ehrenpräsident des Weltverbandes für Sportmedizin,
Präsident der Deutschen Olympischen Gesellschaft. Hollmann betreut
die deutsche Fußball-Nationalmannschaft, ist im Beirat der
Bundesärztekammer und Berater des Bundesverteidigungsministers. Er
wird mit 34 Forschungspreisen und dem Großen Bundesverdienstkreuz
ausgezeichnet, mit Stern und Schulterband.

Der Professor reist teils drei Monate am Stück, verbringt immer
wieder Zeit in Japan. Er forscht, hält Vorträge, veröffentlicht.
Seine Frau hält ihm in all den Jahren den Rücken frei, kümmert sich
zuhause in Brüggen am Niederrhein um die zwei Kinder. Zeit für die
Studierenden erübrigt Hollmann trotz allem: Mehr als 1000 von ihnen
haben ihre Diplom- oder Promotionsarbeiten bei ihm geschrieben.
Aktuell betreut Hollmann noch acht Doktoranden. Sein
Erfolgsgeheimnis? «Mir wurde schon früh gesagt, dass ich ein anomales
Gedächtnis habe.» Was er einmal höre, könne er sich merken.

Geholfen habe aber auch die Politik: Als Bonn noch Hauptstadt war und
so mancher Minister besorgt, herzinfarktgefährdet zu sein, wurde
Hollmanns Präventivmedizin zum Hit. «Da kam ein Minister nach dem
anderen zur Vorsorge rüber», sagt Hollmann. Als sein Name vor einigen
Jahren in Zusammenhang mit Dopingvorwürfen gebracht wird, wehrt er
sich entschieden. Er habe sich nichts vorzuwerfen, sagt Hollmann:
«Ich habe niemals jemanden gedopt.»

Was rät er jungen Leuten? Jede Möglichkeit für körperliche und
geistige Aktivität zu nutzen. «Und Selbstdisziplin.» Man könne sich

zwingen, selbst die Dinge mit Freude zu tun, auf die man keine Lust
habe. Zweimal pro Woche trainiert der 92-Jährige im Fitnessstudio,
steigt täglich 200 Treppenstufen. Seit September nimmt er
Tanzstunden, lernt unter anderem Rumba. Aktuell nerven ihn Probleme
mit seinem Internet-Provider: «Ich bin ohne Internet, das ist ganz
schlimm.»