Gesundheitspolizei aus der Luft - Geier fliegen dem Tod entgegen Von Carola Frentzen, dpa

Auf Safaris ist es eines der beliebtesten Fotomotive: Dutzende Geier
stürzen sich auf einen Tierkadaver und fressen, bis nichts mehr übrig
bleibt. «Gesundheitspolizei der Natur» nennen Experten das. Aber
Geier stehen vor dem Aussterben. Schuld ist der Mensch.

Madrid/Toledo (dpa) - Geier haben ein schlechtes Image, fehlt ihnen
doch der Stolz eines Adlers oder die Eleganz eines Albatrosses. Mit
starrem Blick auf die Erde kreisen Geier über Tierkadavern, um sich
zu gegebener Zeit auf das Aas zu stürzen und es zu verspeisen. Gleich
mehrere negativ besetzte Redewendungen rund um die mächtigen
Greifvögel gibt es: «Hol's der Geier!» als Ausdruck der Verärgerung

etwa oder, mit Blick auf die vermeintliche Gier der Tiere, «sich wie
ein Geier auf etwas stürzen». Derlei Sprichwörter könnten bald
obsolet werden: In weiten Teilen der Welt ist die Zahl der Geier so
dramatisch geschrumpft, dass sie aussterben könnten.

In Afrika und Asien etwa, wo die sogenannten Altweltgeier leben, sei
ihre Zahl in den vergangenen Jahrzehnten um 95 Prozent
zurückgegangen, hieß es vor wenigen Tagen bei einem Expertentreffen
in der spanischen Stadt Toledo, bei dem ein Aktionsplan zur Rettung
der Tiere ausgearbeitet wurde. Von den insgesamt 23 Geierarten sind
16 global bedroht. Vier asiatische und vier afrikanische Arten werden
auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) bereits als
«kritisch bedroht» geführt, darunter der Kappengeier, der
Weißrückengeier, der Indiengeier und der Sperbergeier.

«Drastische Maßnahmen sind nötig, um dieser Notsituation zu
begegnen», sagte Iván Ramírez, Leiter des Bereichs Naturschutz von
BirdLife in Europa und Zentralasien. «Es handelt sich nicht nur um
ganz wundervolle Tiere, die unbedingt erhalten werden müssen, sondern
auch um die Gesundheitspolizei unserer Ökosysteme.»

Warum sind Geier so wichtig? Nick Williams, Greifvogelexperte der
Organisation Übereinkommen zur Erhaltung der wandernden wildlebenden
Tierarten (Bonner Konvention, CMS), erklärt die Zusammenhänge: «Geier

sind dazu gebaut, die Erde von Tierkadavern zu säubern. Sie sind
Aasfresser, und ohne sie würden andere Tierarten diese Aufgabe
übernehmen oder die Kadaver würden einfach liegenbleiben.» Das
wiederum könnte ganze Ökosysteme destabilisieren und zudem zur
Verbreitung von Krankheiten unter Tieren, aber auch Menschen
beitragen. «Geier sind eine spektakuläre Komponente der Artenvielfalt
des Lebensraums, den sie bewohnen», schwärmt Williams.

Zur Ausrottung tragen mehrere Faktoren bei. Der bei weitem
verheerendste ist die - oft unabsichtliche - Vergiftung der Vögel.
Geier nehmen etwa die Kadaver von vergifteten Hunden, Schakalen oder
Hyänen auf, die vor allem in Afrika wegen der Gefahr, die sie für
Haustiere darstellen, konsequent verfolgt werden. Oft stürzen sich
gleich Dutzende Greifvögel verschiedener Arten auf ein verendetes
Tier - und sterben dann selbst einen qualvollen Tod.

Aber auch Wilderer, die eigentlich Elefanten und Nashörner jagen,
machen den Geiern zu schaffen. Diese wollen verhindern, von
Wildhütern entdeckt zu werden - und über einem toten Elefantenbullen
kreisende Geier könnten sie verraten. Deshalb präparieren sie die
Tierkadaver mit Gift, um möglichst viele Geier gleichzeitig zu töten.

Auch die «traditionelle Medizin» in Teilen Afrikas und Asiens trägt
zum großen Geiersterben bei. Die Ausmaße seien erschreckend, schreibt
der Naturschutzbund (Nabu) auf seiner Webseite und zitiert Mark
Anderson, den Direktor von BirdLife Südafrika: «Seit der
Fußballweltmeisterschaft 2010 wird das Hirn von Geiern von
Wettbesessenen gegessen, um den Ausgang eines Fußballspiels
vorhersagen zu können und so den Einsatz von Wettgeld zu generieren.»

Der neue Aktionsplan, der im Oktober in Manila verabschiedet werden
soll, schlägt 100 Maßnahmen für die nächsten zwölf Jahre vor, mit

denen die Geier gerettet werden sollen. Dazu gehören vor allem
strengere Gesetze und eine bessere Überwachung ihrer Einhaltung.

Selbst in Europa sind Geier nicht sicher. So ist in Spanien und
Italien - wo 80 Prozent aller europäischen Geier leben - seit einigen
Jahren die Behandlung von Weidetieren wie Rindern und Schweinen mit
dem Wirkstoff Diclofenac erlaubt. Das Medikament hatte Mitte der
1990er Jahre in Indien ein Geier-Massensterben verursacht: Fast 99
Prozent des Gesamtbestands wurde vernichtet. Jetzt befürchten
Experten Ähnliches in Europa. «Der Wirkstoff ist für Menschen
ungefährlich, aber für Geier tödlich», warnte Juan Carlos Atienza v
on
SEO/BirdLife nach dem Treffen in Toledo.

«Spanien ist das letzte Land in Europa mit einer hohen Dichte an
Geiern und jetzt ist auch dies kein sicherer Ort mehr für sie», sagte
er und forderte die Regierung in Madrid auf, den Einsatz von
Diclofenac umgehend zu unterbinden, zumal es geeignete unbedenkliche
Alternativen gebe.

In Deutschland, wo unter anderem Bartgeier über dem Allgäu kreisen,
ist das Präparat verboten. Vergiftung sei in Deutschland somit kein
Thema, betont eine CMS-Expertin. Jedoch hätten Gänsegeier, die
gelegentlich in den deutschen Alpen vorkämen, ein Versorgungsproblem:
Die Nutztierkadaver, auf die die Vögel angewiesen seien, würden meist
von den Bergen gleich ins Tal transportiert und entsorgt. Zurück
bleiben hungrige Geier, die Aas-suchend über den Alpen kreisen.