Seltene Erkrankungen fordern Ärzte und Patienten heraus Von Carolin Eckenfels, dpa

Manche Krankheiten sind so selten, dass sie erst nach einer Odyssee
von Arzt zu Arzt erkannt werden. Das muss sich endlich ändern, lautet
eine Forderung zu einem anstehenden Aktionstag.

Marburg/Berlin (dpa) - Etwa vier Millionen Menschen in Deutschland
haben besondere Symptome. Sie stellen Ärzte oft jahrelang vor Rätsel,
bis klar ist: Der Patient leidet an einer seltenen Erkrankung. «Eine
solche Diagnose bedeutet viel Unsicherheit», sagt Mirjam Mann, die
Geschäftsführerin der Selbsthilfeorganisation Achse. «Die Patienten
haben Sorgen, was das für ihre Zukunft bedeutet.» Auch weil es häufig

nur wenige oder schwer zugängliche Informationen über die Krankheiten
gebe. Zudem sei deren Verlauf oftmals unbekannt. Der «Tag der
seltenen Erkrankungen» am kommenden Dienstag (28. Februar) soll auf
die Situation der Patienten aufmerksam machen.

Eine Krankheit gilt dann als selten, wenn sie maximal 5 von 10 000
Menschen haben. Dazu gehören Erkrankungen, für die es Arzneien und
Therapien gibt. Über andere ist dagegen nur wenig bekannt. Deswegen
trage der diesjährige Aktionstag das Motto «Forschen hilft heilen»,
erklärt Mann von der Achse, eine Abkürzung für Allianz Chronischer
Seltener Erkrankungen. «Es braucht mehr Medikamente und
Behandlungsmethoden.» Die Organisation setzt sich zudem für den
Aufbau eines bundesweiten Netzes von zertifizierten Zentren für
seltene Erkrankungen ein.

Schon jetzt gibt es an mehrere Universitätskliniken im Land
Mediziner, die sich speziell um diese Patientengruppe kümmert, etwa
im hessischen Marburg.

«Die Möglichkeiten, die wir heute haben, um Krankheiten zu erkennen,
sind gigantisch. Man findet heute dank Suchmaschinen, Datenbanken,
moderner Labordiagnostik und Bildgebung Dinge, die hätte man vor ein
paar Jahren noch gar nicht gekannt», sagt Jürgen Schäfer, der Leiter

des Zentrums für unerkannte und seltene Erkrankungen an der
Uni-Klinik Marburg. Wegen seiner Herangehensweise wird er gerne
«Deutscher Dr. House» genannt, in Anlehnung an die TV-Serie um einen
Arzt, der auch bei kniffligen Fällen die richtigen Diagnosen findet.

Schäfer zufolge warten 30 Prozent der Patienten mit seltenen
Erkrankungen mehr als fünf Jahre auf eine korrekte Diagnose. 40
Prozent bekommen zunächst eine falsche attestiert. Die große Mehrheit
- etwa 80 Prozent - erfährt zudem erst im Erwachsenenalter, woran sie
eigentlich leidet. «Und das, obwohl geschätzte 80 Prozent der
seltenen Erkrankungen genetisch bedingt, also angeboren, sind.»
Schäfer macht zudem einen Unterschied zwischen seltenen und
unerkannten Krankheiten: «Nicht alles, was unerkannt ist, muss
unbedingt selten sein, und umgekehrt ist nicht jede seltene
Erkrankung unerkannt.»

Um eine seltene Erkrankung zu erkennen, braucht es Zeit, Zeit die
etwa Hausärzten oft fehlt. Sein Team sei nicht besser als andere
Mediziner, betont Schäfer. Es stünden aber andere Ressourcen zur
Verfügung. «Auch wir bekommen nicht immer alles gelöst. Oftmals
suchen auch wir lange nach einer Diagnose. Da braucht es sehr viel
Hirnschmalz, Diskussionen mit Kollegen und intensiver Detektivarbeit
in medizinischen Datenbanken, um eine komplizierte Erkrankung zu
lösen.»

Seit der Gründung des Marburger Zentrums im Jahr 2013 haben sich mehr
als 6500 Patienten bei Schäfer und seinem Team gemeldet. Die
Warteliste sei lang. «Das ist ein Indikator dafür, dass es im Bereich
der komplexen Erkrankungen einen Versorgungsengpass in Deutschland
gibt», betont der Mediziner. Er fordert, flächendeckend
«Kümmerer-Stationen» für komplexe Fälle an den Uni-Kliniken
aufzubauen. Wichtig sei auch, das Abrechnungssystem der
Fallpauschalen für diese Häuser zu überdenken. «Es geht um
menschliche Schicksale», betont Schäfer. «Um Schicksale, die günsti
g
beeinflusst werden könnten, wenn man früher diagnostizieren würde.»