Unruhe unter Rotkreuz-Schwestern - ihr Sonderstatus ist weg Von Simone Rothe, dpa

Die Hauben sind passé, doch der Tradition fühlen sich die 25 000
Rotkreuz-Schwestern verbunden. Sie kümmern sich um Kranke, nicht nur
in DRK-Häusern. Nun hat das Bundesarbeitsgericht sie als
Leiharbeiterinnen eingestuft - ein Urteil mit Konsequenzen.

Erfurt/Essen (dpa) - Zehntausende Kranke werden täglich von
Schwestern des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) gepflegt. Über deren
rechtlichen Status macht sich kaum jemand Gedanken. Seit Dienstag ist
er neu geregelt: Die Schwestern gelten nach einer Entscheidung des
Bundesarbeitsgerichts in Erfurt in Kliniken, die nicht zum DRK
gehören, als Leiharbeiterinnen. Die Richter billigten ihnen keine
arbeitsrechtliche Sonderrolle mehr als Mitglieder von
Schwesternvereinen zu. Das hat Konsequenzen für die bundesweit 33
Schwesternschaften, die sich gegen die Leiharbeiterrolle wehren.
Diskutiert wird eine Ergänzung des DRK-Gesetzes.

Was ist die Besonderheit von Rotkreuz-Schwestern?

In den Schwesternschaften beim DRK, die eine 135-jährige Tradition
haben, sind derzeit etwa 25 000 Schwestern organisiert. Einige
Tausend arbeiten in DRK-Einrichtungen, 18 000 werden nach Angaben
ihres Verbandes über spezielle Vereinbarungen dauerhaft in anderen
Kliniken und Krankenhäusern in ihren Pflegeberufen eingesetzt. Die
Schwesternschaften überlassen quasi öffentlichen oder privaten
Kliniken ihre Vereinsmitglieder. Sie bekommen dafür ein Entgelt, das
die Personal- und Verwaltungskosten umfasst.

Was hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?

Es beschäftigte sich mit dem Status der Rotkreuz-Schwestern, deren
Arbeitsverhältnis in der Regeln nicht durch einen Arbeitsvertrag,
sondern die Vereinmitgliedschaft begründet ist. Es ging um die Frage,
ob sie rechtlich wie «normale» Arbeitnehmer zu behandeln sind. Ja,
sagte der Erste Senat jetzt und änderte damit die bisherige
Rechtsprechung in dieser Frage. Damit wird der oft jahrelange Einsatz
der Rotkreuzschwestern in anderen Kliniken nun zur Leiharbeit. Er
gilt rechtlich als Arbeitnehmerüberlassung, die nach dem neuen
Gesetz, das am 1. April 2017 in Kraft tritt, auf maximal 18 Monate
begrenzt ist.

Wer hat geklagt?

Ins Rollen gebracht hat die juristische Neubewertung der Betriebsrat
der Ruhrlandklinik in Essen. Er verweigerte seine Zustimmung, eine
DRK-Schwester auf unbestimmte Zeit im Pflegedienst zu beschäftigen.
Er sah darin einen Verstoß gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz.
Die Klinik zog wegen der verweigerten Betriebsratszustimmung vor
Gericht - und gewann in den ersten beiden Instanzen. 2015
verhandelten die höchsten deutschen Arbeitsrichter in Erfurt den
Fall. Jetzt entschieden sie: Der Betriebsrat hat seine Zustimmung
zurecht verweigert.

Warum kam das Urteil erst jetzt?

Weil das Bundesarbeitsgericht den Europäischen Gerichtshof (EuGH)
anrief. Es wollte wissen, ob die deutsche Regelung zu den
Rotkreuz-Schwestern mit der europäischen Leiharbeitsrichtlinie
vereinbar ist. Der EuGH erkannte im November 2016 den Sonderstatus
der DRK-Schwestern nicht an, übertrug die Entscheidung aber den
deutschen Richtern.

Was ist die Konsequenz aus dem Urteil?

Der Einsatz der Pflegerinnen in Kliniken außerhalb des DRK müsste nun
zeitlich begrenzt werden, rechtlich haben sie die ungeliebte
Leiharbeitsrolle. Das hat Auswirkungen nicht nur auf ihren
Arbeitsalltag, sondern auch auf die Krankenpflege in Kliniken und das
traditionelle Modell der Schwesternschaften.

Gibt es eine Alternative?

Ja. Weil die Gerichtsentscheidung von Brisanz für das
Gesundheitswesen und das DRK zur Hilfe in Krisen- und
Katastrophenfällen verpflichtet ist, wurde seit Monaten nach einem
Ausweg gesucht: Ende vergangener Woche verständigten sich
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und DRK-Präsident Rudolf
Seiters auf einen Weg zum Erhalt des bisherigen
Schwesternschaftmodells. Nach Angaben beider Seiten soll das
Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zwar auf die DRK-Schwestern Anwendung
finden. Ein Passus jedoch nicht: Die Befristung von Einsätzen auf 18
Monate. Das DRK-Gesetz soll ergänzt werden.