«Jetzt erst recht»: Trump-Proteste bei weltgrößtem Forschertreffen Von Christina Horsten, dpa

Das weltgrößte Wissenschaftstreffen AAAS ist normalerweise relativ
unpolitisch. Aber in Zeiten von Trump ist auch das anders. Viele
Forscher sorgen sich um ihre Zukunft, andere rufen ihre Kollegen
lautstark zu Protesten auf - und zu Wachsamkeit.

Boston (dpa) - Der Raum ist so voll, dass die Organisatoren niemanden
mehr hineinlassen können. Kurzfristig werden ein zweiter Raum mit
Monitor-Übertragung und ein Online-Livestream eingerichtet,
Hunderte Menschen verfolgen dort die Diskussionsrunde. Thema: «Die
Verteidigung der Wissenschaft und der wissenschaftlichen Integrität
in Zeiten von Donald Trump». Es ist eine von vielen Diskussionsrunden
auf der derzeit laufenden weltgrößten Wissenschaftskonferenz AAAS
(American Association for the Advancement of Science) in Boston. Sie
drehen sich um den umstrittenen neuen US-Präsidenten, die viel
debattierten «Fake News» oder das Selbstverständnis der Forscher in
diesen unruhigen Zeiten - und alle sind sie völlig überfüllt.

Normalerweise ist das Jahrestreffen der AAAS, die auch das
Fachjournal «Science» herausgibt, eine relativ unpolitische
Angelegenheit. Wissenschaftler präsentieren und diskutieren ihre
Ergebnisse. Aber in diesem Jahr hängt der Schatten Donald Trumps auch
über der Kongresshalle im Zentrum von Boston. 9000 neue Mitglieder
hat die AAAS seit Januar dazubekommen - deutlich mehr als üblich in
diesem Zeitraum.

Trump hat den Klimawandel einst als erfundene «Ente» bezeichnet und
ist dafür bekannt, dass er Wissenschaft bestenfalls ignoriert,
schlimmstenfalls offen ablehnt. Auch ein von Trump vorangetriebenes
Einwanderungsverbot für Menschen aus bestimmten Ländern würde die
international aufgestellte Forschergemeinde hart treffen. Viele
Wissenschaftler sind wütend - und haben gleichzeitig Sorge, dass ihre
Forschungsfreiheit und Finanzierung künftig stark eingeschränkt
werden könnte.

Viele der bisherigen Entscheidungen der Trump-Regierung seien «sehr
besorgniserregend», sagt die derzeitige AAAS-Präsidentin Barbara
Schaal dann auch gleich in ihrer Eröffnungsrede. «Viele von uns
finden momentan, dass es wichtig ist, etwas zu sagen. Nicht als
Individuen mit politischer Agenda - auch wenn wir natürlich alle
politische Meinungen haben - sondern als Forscher, die sich für
Regeln einsetzen, die die Wissenschaft voranbringen.»

5000 Anstecker mit der Aufschrift «Frag nach Beweisen» hat die
AAAS unter den rund 10 000 Teilnehmern aus fast 60 Ländern verteilen
lassen. Viele tragen zudem Buttons mit Aufschriften wie «Steh' auf
für die Wissenschaft!». Für Sonntag hatten die Forscher zu einer
Protestkundgebung auf einem Platz in Boston aufgerufen. Auch für den
geplanten «Marsch für die Wissenschaft» im April in Washington wird
immer wieder geworben.

Am besten, man bringe noch zwei Freunde mit, die keine
Wissenschaftler seien, sagt John Holdren, früher wissenschaftlicher
Berater von Trump-Vorgänger Barack Obama. Denn es sei wichtig zu
zeigen, dass Forscher in allererster Linie auch ganz normale Menschen
seien - und nicht nur Teil der bei Trump verhassten «Elite».

«Die ersten Anzeichen machen mir Sorgen, dass wir einen großen Wandel
in der Kultur um Wissenschaft und Technologie und deren Bedeutung für
die Regierung vor uns haben», sagt Holdren. «Wir scheinen jetzt einen
Präsidenten zu haben, der sich gegen Fakten sträubt, die ihm nicht
gefallen.» Holdren empfiehlt: nicht einschüchtern lassen, mit der
Forschung weitermachen wie vorher, sich insgesamt besser über
wissenschaftliche Themen informieren. Und: zehn Prozent seiner Zeit
dem Dienst an der Öffentlichkeit und dem Aktivismus widmen und
gemeinsam mit anderen darüber nachdenken, wie die Integrität der
Wissenschaft in dieser neuen Ära erhalten bleiben kann.

«Wenn ich bei der selben Veranstaltung im vergangenen Jahr von
Resistenz gesprochen hätte, hätten alle gedacht, es geht um
Bakterien», sagt ein US-Wissenschaftsjournalist bei einem Empfang. In
fast jeder anderen Rede kommt «jetzt erst recht» vor. «Dieser Tag hat

einfach alles verändert», sagt eine Wissenschaftsjournalistin - und
meint den Tag der Wahl im November.

Aber nicht jeder Wissenschaftler traue sich, in der Öffentlichkeit
als «Wächter» zu fungieren, so wie das einst Albert Einstein tat,

sagt die Harvard-Umweltforscherin Naomi Oreskes. «Wir haben Sorge,
dass wenn wir außerhalb der wissenschaftlichen Publikationen und
Treffen sprechen, dass wir dann als Aktivisten gesehen werden und
dass das dann unsere Arbeit politisiert und unsere Glaubwürdigkeit
einschränkt».

Ihre Forschungen hätten aber ergeben, dass solche Sorgen unbegründet
seien. «Wir müssen Wächter sein und wir müssen über die Fakten, d
ie
wir herausgefunden haben, sprechen, denn sie erklären sich - anders
als viele denken - nicht von selbst.»