EU-Richterspruch zu Brustimplantat-Skandal: Schmerzensgeldfrage offen

Eigentlich steht der Schuldige fest. Das französische Unternehmen PIP
hat gesundheitsgefährdende Brustimplantate verkauft. Doch bei der
insolventen Firma ist nichts mehr zu holen. Ob andere Stellen
Schmerzensgeld zahlen müssen, ist auch nach einem EuGH-Urteil offen.

Luxemburg (dpa) - Im Skandal um reißanfällige Brustimplantate müssen

betroffene Frauen weiter um Schmerzensgeldzahlungen bangen. Ein
Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Donnerstag widersprach in
weiten Teilen der Argumentation vieler Klägerinnen, die vom TÜV
Rheinland Schadenersatz fordern.

Gleichzeitig stellten die Luxemburger Richter fest, dass Prüfstellen
wie der TÜV unter bestimmten Bedingungen von nationalen Gerichten für
haftbar befunden werden können. Das war bislang strittig gewesen. Es
ist auch an nationalen Gerichten, über mögliche Zahlungen zu
entscheiden.

Sowohl Vertreter klagender Frauen als auch der TÜV Rheinland selbst
werteten die EuGH-Entscheidung positiv. «Wir sind sehr zufrieden mit
dem Urteil und sehen uns in den entscheidenden Punkten bestätigt»,
teilte der TÜV Rheinland mit.

Der Prüfverein hatte das Qualitätssicherungssystem des französischen

Implantat-Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) zertifiziert und
überwacht. Dabei hatte er nach eigenen Angaben nie Hinweise darauf
gefunden, dass über Jahre billiges Industrie-Silikon in die Kissen
gefüllt worden war.

Der Anwalt Christian Zierhut, der fast 100 betroffene Frauen in
Deutschland vor Gericht vertritt, betonte gegenüber der Deutschen
Presse-Agentur: «Grundsätzlich ist die Tür der Haftung jetzt offen.
»

Eine Frau aus Nordrhein-Westfalen, die sich ihre undichten
PIP-Implantate 2012 nach neun Jahren entfernen ließ und in Frankreich
gegen den TÜV klagt, zeigte sich enttäuscht. «Ich hätte mir
gewünscht, dass der TÜV zur Rechenschaft gezogen wird», sagte sie der

dpa.

In dem Urteil der Luxemburger Richter heißt es, dass Prüfstellen wie
der TÜV nicht grundsätzlich verpflichtet sind, Medizinprodukte wie
Implantate selbst zu prüfen oder unangekündigte Inspektionen bei den
Herstellern vorzunehmen (Rechtssache C-219/15). Dem TÜV Rheinland war
in Dutzenden Verfahren vorgeworfen worden, solche Maßnahmen bei PIP
nicht ergriffen zu haben.

Die EU-Richter urteilten, dass ein Institut wie der TÜV Rheinland nur
dann «alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen» muss, wenn Hinweise
vorliegen, dass ein Medizinprodukt die vorgeschriebenen Anforderungen
nicht erfüllt. Patientenanwalt Zierhut sagte: «Jetzt muss man
beweisen, dass es da Hinweise gab.»

Beim TÜV Rheinland hieß es, man sei zuversichtlich, dass die Gerichte
in den einzelnen EU-Staaten auch weiter feststellen würden, dass der
TÜV Rheinland seine Aufgaben stets verantwortungsvoll wahrgenommen
habe. Bislang wurde der Verein in Deutschland im Zuge des
PIP-Skandals nach eigenen Angaben noch nie schuldig gesprochen.

Hintergrund des Verfahrens am EuGH war die Klage einer Frau vor dem
Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Sie hatte ihre PIP-Brustimplantate
auf ärztlichen Rat entfernen lassen und fordert vom TÜV Rheinland 40
000 Euro Schmerzensgeld. Ihr Vorwurf vor Gericht: Mit überraschenden
Kontrollen in den PIP-Betriebsstellen und Überprüfungen der
Implantate hätte der TÜV Rheinland den Pfusch erkennen können.

Weltweit ließen sich Hunderttausende Frauen die Implantate einsetzen.
Nachdem der Skandal im März 2010 durch die zuständige französische
Behörde aufgedeckt wurde, ließen sich viele von ihnen die Kissen
wieder entnehmen. Allein in Deutschland und Frankreich waren es etwa
20 000 Frauen.

In Frankreich wurde der TÜV Rheinland im Januar zu
Schadenersatzzahlung in Höhe von 60 Millionen Euro verurteilt. Er
legte Rechtsmittel ein.