EuGH-Urteil zu Implantat-Skandal: TÜV und Frauenanwälte zufrieden

Eigentlich steht der Schuldige fest. Das französische Unternehmen PIP
hat gesundheitsgefährdende Brustimplantate verkauft. Doch bei der
insolventen Firma ist nichts mehr zu holen. Ob andere Stellen
Schmerzensgeld zahlen müssen, ist auch nach einem EuGH-Urteil offen.

Luxemburg (dpa) - Im Skandal um reißanfällige Brustimplantate sinken
die Chancen der Frauen, Schmerzensgeld vom TÜV Rheinland zu bekommen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) urteilte am Donnerstag, dass
Stellen wie der TÜV nicht grundsätzlich verpflichtet sind,
Medizinprodukte wie Implantate selbst zu prüfen oder unangekündigte
Inspektionen bei den Herstellern durchzuführen.

Alle Wege zu Entschädigungen versperrten die EU-Richter den Frauen
jedoch nicht: Nationale Gerichte könnten feststellen, dass
Prüfstellen unter Umständen gegenüber Patienten haftbar sind, wenn
sie ihre Pflichten verletzt haben. Dabei müssten die Richter sich auf
nationales Recht stützen, weil diese Frage in der relevanten
EU-Richtlinie nicht geklärt sei (Rechtssache C-219/15).

Der TÜV Rheinland hatte das Qualitätssicherungssystem des
französischen Implantat-Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP)
zertifiziert und überwacht. Hinweise darauf, dass das mittlerweile
insolvente Unternehmen billiges Industrie-Silikon in die Kissen
füllte, fand der Prüfverein nach eigenen Angaben nicht.

Sowohl Vertreter klagender Frauen als auch der TÜV Rheinland selbst
werteten das EuGH-Urteil positiv. «Wir sind sehr zufrieden mit dem
Urteil und sehen uns in den entscheidenden Punkten bestätigt», teilte
der TÜV mit. Der Anwalt Christian Zierhut, der fast 100 betroffene
Frauen in Deutschland vor Gericht vertritt, sagte der Deutschen
Presse-Agentur: «Grundsätzlich ist die Tür der Haftung jetzt offen.
»

Hintergrund des Verfahrens am EuGH ist die Klage einer Frau vor dem
Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Sie hatte sich die
gesundheitsgefährdenden PIP-Brustimplantate auf ärztlichen Rat
entfernen lassen und fordert vom TÜV Rheinland 40 000 Euro
Schmerzensgeld.

Ihr Vorwurf vor Gericht: Mit überraschenden Kontrollen in den
PIP-Betriebsstellen und Überprüfungen der Implantate hätte der TÜV

Rheinland den Pfusch erkennen können.

Das EU-Gericht widersprach nun dieser Argumentation. Nur wenn
Hinweise vorliegen, dass ein Medizinprodukt den vorgeschriebenen
Anforderungen nicht genügt, muss die Prüfstelle demnach «alle
erforderlichen Maßnahmen ergreifen», um sicherzustellen, dass der
Hersteller seine Verpflichtungen einhält. Anwalt Zierhut betonte:
«Jetzt muss man beweisen, dass es da Hinweise gab.»

Weltweit ließen sich Hunderttausende Frauen die Implantate einsetzen.
Nachdem der Skandal im März 2010 durch eine französische Behörde
aufgedeckt wurde, ließen sich viele von ihnen die Kissen wieder
entnehmen. Allein in Deutschland und Frankreich waren es etwa 20 000
Frauen.