Pfusch mit fatalen Folgen - EuGH urteilt im Brustimplantate-Skandal Von Violetta Kuhn, dpa

Der Betrug mit minderwertigen Brustimplantaten ist für
Hunderttausende Frauen eine Geschichte des Grauens. Schadenersatz
haben die wenigsten von ihnen bekommen. EU-Richter urteilen jetzt
über ihre womöglich letzte Chance.

Luxemburg (dpa) - Einige wollten einen größeren Busen, andere
wünschten sich nach einer Brustkrebserkrankung überhaupt wieder ein
Dekolleté. Doch sie ahnten nicht, dass sie dafür ihre Gesundheit aufs
Spiel setzten: Hunderttausende Frauen ließen sich extrem
reißanfällige Brustimplantate des französischen Herstellers Poly
Implant Prothèse (PIP) einsetzen.

Die Firma, die die mit billigem Industriesilikon gefüllten Kissen
verkaufte, gibt es nicht mehr. Nachdem ihr Betrug im März 2010
aufgeflogen war, ging sie pleite. Bis heute wissen die Betroffenen
nicht, ob sie je Schadenersatz bekommen werden.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) soll am Donnerstag entscheiden, ob
auch Prüfstellen wie der TÜV gegenüber Patienten haftbar sein könne
n
- und somit unter bestimmten Voraussetzungen zu Zahlungen
verpflichtet werden können. Der TÜV Rheinland hatte das
Qualitätssicherungssystem von PIP zertifiziert und überwacht, nach
eigenen Angaben aber nie Hinweise darauf gefunden, dass PIP über
Jahre minderwertiges Silikon in die Kissen füllte.

Der Pfusch hatte fatale Folgen für die Frauen: Rissen die Implantate,
kam es nicht nur häufig zu unschönen Verformungen. Oft entzündete
sich das umliegende Gewebe. Das ausgetretene Gel steht sogar im
Verdacht, Krebserkrankungen ausgelöst zu haben.

Auf behördlichen Rat ließen sich schließlich Zehntausende Frauen die

Kissen entfernen. Allein in Deutschland und Frankreich unterzogen
sich rund 20 000 Betroffene der schmerzhaften OP. Einigen setzte das
Ganze so zu, dass sie lieber ohne Busen weiterlebten, als sich erneut
Implantate einsetzen zu lassen.

Eine Betroffene aus der Vorderpfalz fordert vom TÜV Rheinland 40 000
Euro Schmerzensgeld. Ihr Vorwurf: Der Prüfverein hätte mit
unangekündigten Besuchen in den PIP-Produktionsstätten und
Überprüfungen der Implantate selbst den Pfusch sofort bemerken
können.

Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe, der in dritter Instanz über ihren
Fall zu urteilen hat, will wiederum vom EuGH wissen, wie die
relevante europäische Richtlinie auszulegen ist.

Der TÜV Rheinland sieht sich in alledem selbst als Opfer. Er sei in
großem Stil von PIP betrogen worden, heißt es in einer Stellungnahme.
Das Unternehmen habe in seinen Unterlagen verschleiert, dass
minderwertiges Silikon zum Einsatz kam. Bei den Überwachungsmaßnahmen
habe man sich stets an die gesetzlichen Bestimmungen gehalten.
Überraschungsbesuche und Produkttests durch den TÜV seien nicht
vorgeschrieben.

Bislang sahen das die meisten Gerichte genauso. Hierzulande ist der
TÜV nach eigenen Angaben in Dutzenden Verfahren nie schuldig
gesprochen worden. Eine wichtige Gutachterin am EuGH sprach sich
zudem im September dafür aus, dass Prüfstellen wie der TÜV in der
Regel nicht rückwirkend für mangelhafte Medizinprodukte haftbar
gemacht werden sollten - die Kosten seien zu hoch. Die Frauen könnten
derweil auf ihren Kosten sitzenbleiben.