Gefährlicher Trend: «Zaubertropfen» für Kleinkinder Von Britta Schultejans, dpa

Wissenschaftler und Mediziner warnen vor einem gefährlichen Trend:
Immer mehr Eltern geben ihren Kindern Schlafmittel. Dabei sind nicht
die Kinder das Problem, mahnt ein Experte.

München (dpa) - «Ich würde gerne mal wieder acht Stunden schlafen,
aber eigentlich will ich meinem Kleinen keine Schlafmittel geben. Nur
mein Körper bricht unter der Müdigkeit zusammen.» Oder: «Das ist

meine letzte Option, endlich mal wieder eine Nacht schlafen zu
können.» Oder: «Geschmeckt hat's ihr nicht, aber wir nennen sie
Zaubertropfen und so hat sie das Zeug doch geschluckt. Wer will schon
nicht zaubern?»

Elternforen im Internet sind voll von Einträgen dieser Art, und die
lösen immer wieder heftige Diskussionen unter den Teilnehmern aus.
Die umstrittene Frage: Dürfen Eltern ihren Kleinkindern Schlafmittel
geben, wenn die einfach nicht durchschlafen wollen?

Mediziner und Behörden sehen eine bedrohliche Entwicklung. Nach
Einschätzung des bayerischen Gesundheitsministeriums geben inzwischen
immer mehr Eltern ihren Kindern Schlafmittel. «Diesen gefährlichen
Trend, den Kinderärzte und Wissenschaftler derzeit beobachten, müssen
wir stoppen», erklärt Ministerin Melanie Huml (CSU) und warnt vor
«schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen für die Kinder».

Die Mittel können psychisch abhängig machen und innere Organe wie
Leber und Niere schädigen, wie Huml betont. Damit hat sie aus Sicht
des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) auch völlig
recht. «Es kann - auch in niedrigen Dosen - zum Atemstillstand
kommen», sagt BVKJ-Sprecher Hermann Josef Kahl.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ)
warnte schon vor Jahren vor Schlafmitteln für Kinder. Konkrete Zahlen
haben beide Organisationen nicht - ebenso wenig wie das
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Zahlen
zu verschriebenen Schlafmitteln für Kinder des Deutschen
Arzneiprüfungsinstituts (DAPI), die vor einiger Zeit öffentlich
wurden, bezeichnet das Institut selbst inzwischen wegen eines Fehlers
bei der Datenerhebung als nicht valide.

«Ich hätte als Arzt Bauchschmerzen, so etwas zu verschreiben», sagt
Kahl. «90 bis 95 Prozent der Kinder sind gesund, haben nur einen
anderen Schlafrhythmus.» Bauchschmerzen macht ihm auch, dass es
Schlafmittel für Kinder gibt, die nicht verschrieben werden müssen,
weil sie frei verkäuflich sind.

«Ich merke schon, dass das Thema die Eltern beschäftigt», sagt Carla

Sauer von Kirschbach von der Elternberatung der Diakonie Gilching bei
München. «Die Frage, ob man Schlafmittel geben darf, taucht hier
immer mal wieder auf. Das ist vielleicht einfacher, als den mühsamen
Weg zu gehen und den Alltag zu ändern.»

Früher, «im Mittelalter», hätten Kinder abends einen Löffel Schna
ps
bekommen, damit sie tief und fest schlafen, sagt Kinderarzt Kahl. Ob
das schlimmer ist als Schlafmittel? «Man sollte beides nicht machen»,
betont Kahl. Seine Alternative: Die Eltern brauchen Schlaf, nicht die
Kinder. «Die Mütter müssen ihre Erschöpfung loswerden. Da empfehl
en
wir in der Regel den gnadenlosen Einsatz der Verwandtschaft.»