Leuchtende Bälle und Bakterien - Aufklärung für Flüchtlingskinder Von Theresa Held, dpa

Statt pausenlos Deutsch zu pauken, bekommen Flüchtlingskinder in
Sachsen-Anhalt Sprache an Naturwissenschaften gekoppelt vermittelt.
Ein mobiles Unterrichtslabor bietet Material für Experimente zu
Hygiene, Sexualität und gesunder Ernährung.

Halle (dpa) - Ein Tennisball fliegt durchs Klassenzimmer. Der zwölf
Jahre alte Mohammedloui ist an der Reihe und stellt sich vor: «Ich
bin Erfinder.» Er ist mit seiner Familie aus Syrien geflohen und
wohnt nun in Halle-Neustadt. 16 Flüchtlingskinder sitzen im
Stuhlkreis in ihrer Sprachklasse in der Sekundarschule Kastanienallee
und werfen sich den feuchten Ball zu. Als das Licht ausgeht und
Schwarzlicht-Taschenlampen angeknipst werden, sind plötzlich Flecken
auf den Händen der 12- bis 14-Jährigen. Ein paar Mädchen kreischen
und stürmen zum Waschbecken, um sich zu waschen. Andere untersuchen
die Flecken genau.

Zwei Biologie-Lehramt-Studenten der Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg stehen vor der Klasse und erklären in sehr einfachem
Deutsch und mit vielen Gesten, dass Bakterien häufig ähnlich wie die
Leucht-Lösung am Ball übertragen werden. Mohammedloui steht mit vor
Seife schäumenden Händen im Klassenzimmer. «Wir haben Bakterien
gesehen», erklärt er mit großen Augen und einem Lächeln. Fasziniert

untersucht er, wie die Seife die Flecken von seinen Händen wäscht.

Die Schüler wurden vom mobilen Schülerlabor «Science4Life mobile Lab
»
besucht. In einem eigens umgebauten Wohnwagen fahren Wissenschaftler
mit Unterrichtsmaterialien in verschiedenen Sprachen zu
Willkommensklassen in Sachsen-Anhalt. Je eine Woche lang vermitteln
sie dann Naturwissenschaften. Biologie-Lehramt-Studenten und ein
Doktorand leiten den Unterricht.

Unterstützt werden sie von Ziad Ahilal, einem Syrer, der in Halle
Chemie studiert und komplizierte Sachverhalte für die Kinder
übersetzt. «Man braucht Zeit, sich in die neue Kultur zu integrieren.
Die Schule hilft da», meint Ahilal. Die Sechstklässler erfahren mit
Hilfe einer Brille, die Rausch simuliert, von den Gefahren des
Alkohols, messen den Zuckergehalt einer Cola und reden in kleinen,
nach Geschlecht getrennten Gruppen, über Sexualität. Immer wieder
lernen sie neue Wörter und wiederholen die Vokabeln vom Vortag.

«Ich habe noch nie solche Experimente gemacht», erzählt die
13-Jährige Barwen und dreht ihre rosa Uhr am Handgelenk hin und her.
Sie kam mit ihrer Familie vor acht Monaten aus Syrien nach Halle.
Besonders die Gruppenarbeiten machten ihr Spaß. Ihr Klassenlehrer
Daniel López ermahnt seine Schützlinge immer wieder zur Ruhe.

Bevor die Schule im August losging, hätten einige der Kinder bis zu
drei Jahre keinen Schulunterricht gehabt, erzählt er. Nicht nur
Deutsch und Mathe müsse er den vorwiegend syrischen Kindern
vermitteln, sondern auch darauf pochen, dass sie ruhig säßen und ihre
Hausaufgaben erledigten. Derzeit gibt es an der Schule vier
Sprachklassen, die nur Deutschunterricht haben sowie drei
Sprachgruppen, die teilweise auch normalen Fach-Unterricht bekommen.

Die Idee zum Schülerlabor hatte Martin Lindner, Professor für
Biologie-Didaktik an der Universität Halle. Er steht in der Ecke des
Klassenzimmers und beobachtet ein wenig stolz den Forscherehrgeiz der
Schüler. Er will sie motivieren, an der technischen Welt
teilzunehmen. Gleichzeitig sollen die Kinder erfahren, dass sie
selbst etwas herausfinden und bewerten können. «Das soll das
eigenständige Denken anregen», sagt Lindner. Zudem sei es für manche

Jugendliche einfacher, über Dinge zu sprechen, die sie beobachten
können, statt sich mit sich oder ihrem Gegenüber auseinanderzusetzen.

Die Bayer-Stiftungen fördern das Projekt mit 117 000 Euro für drei
Jahre. Sie wollen den Kindern Perspektiven zeigen, wie
Stiftungsleiter Thimo Schmitt-Lord sagt. Außerdem sollten Lehrer
durch das Angebot motiviert werden, selbst auch Experimente in den
Unterricht einzubauen. Eine Biologielehrerin der Sekundarschule
Kastanienallee in Halle-Neustadt nahm bereits am Projektunterricht
teil. Wenn sie die Flüchtlingskinder in den Regelklassen
unterrichtet, hat sie vor, darauf aufzubauen. Mohammedloui könnte
dann weiter zu Bakterien forschen. Aber erst einmal übt er nun mit
seinen Mitschülern, wie er sich die Zähne noch besser putzen kann.