Wird es für Kassenpatienten billiger? - BGH erlaubt mehr Preiskampf Von Anja Semmelroch, dpa

Ein Online-Händler für Diabetiker-Bedarf wirbt damit, seinen Kunden
die Zuzahlung an die Krankenkasse abzunehmen. Wettbewerbsschützer
wollen das gerichtlich verbieten lassen - und erreichen genau das
Gegenteil. Für die Versicherten könnte sich das auszahlen.

Karlsruhe (dpa) - Das Geschäft mit der Gesundheit ist eine sensible
Angelegenheit. Strenge Regeln verhindern deshalb Rabattschlachten und
Dumpingpreise. Beim Thema Zuzahlungen macht der Bundesgerichtshof
(BGH) mit einem Urteil vom Donnerstag aber mehr Wettbewerb möglich.
Profitieren können alle Kassenpatienten. (Az. I ZR 143/15)

Zuzahlungen - worum handelt es sich da noch mal genau?

Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen für viele rezeptpflichtige
Arzneimittel größtenteils die Kosten und je nach Bedarf auch für
Heil- und Hilfsmittel wie etwa Massagen, Prothesen oder
Schuheinlagen. Einen kleineren Teil des Preises müssen erwachsene
Patienten aber in der Regel selbst tragen. Bei Medikamenten sind das
zum Beispiel grundsätzlich zehn Prozent, mindestens aber fünf und
maximal zehn Euro. Diesen Betrag zahlen Kunden an der
Apotheken-Kasse, wenn sie ihr Rezept einlösen. Einige besonders
günstige Arzneimittel sind von der Zuzahlung befreit. Damit niemand
über seine Verhältnisse belastet wird, gibt es eine
einkommensabhängige Höchstgrenze. Chronisch Kranke sind durch eine
niedriger angesetzte Grenze besonders geschützt.

Um was ging es vor dem BGH?

Ein auf Diabetiker-Bedarf spezialisierter Versandhändler aus der Nähe
von Ulm hatte auf das Kassieren der Selbstbeteiligung einfach
verzichtet. «Zuzahlung bezahlen Sie übrigens bei uns nicht, das
übernehmen wir für Sie!», hieß es unter anderem in dem Online-Shop.

Das rief Wettbewerbsschützer auf den Plan, die solche Werbeaktionen
auch schon bei anderen Händlern beobachtet haben. «Das scheint
durchaus ein beliebtes Marketingmittel zu sein», sagt Christiane
Köber, Geschäftsführungs-Mitglied und Gesundheitsexpertin der
Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs.

Warum finden die Wettbewerbsschützer das problematisch?

Sie kritisieren, dass solche Aktionen den Sinn und Zweck der
Zuzahlungen aushöhlen - nämlich den Versicherten vor Augen zu führen,

dass jede Leistung im Gesundheitssystem Geld kostet. Leidtragende
seien außerdem die Apotheker, denen berufsrechtliche Konsequenzen wie
Geldstrafen drohen, wenn sie die Selbstbeteiligung nicht kassieren.
Die Folgen liegen für Köber auf der Hand: «Wenn ich in der Apotheke
die Zuzahlung leisten muss, weil der Apotheker sonst heftige Probleme
mit seinem Berufsgericht bekommt, dann gehe ich doch lieber zum
Händler und spare da monatlich doch ganz erhebliche Beträge.»

Aber das sehen die Karlsruher Richter nicht so eng?

Sie sagen: Die Zuzahlungen sind nicht dazu da, um Mitbewerber vor
Konkurrenten zu schützen, sondern um die Kosten im Gesundheitssystem
im Rahmen zu halten. Zwar ist es so, dass die Versicherten
prinzipiell zur Zuzahlung verpflichtet sind. Bei medizinischen
Hilfsmitteln gibt es aber Besonderheiten bei der Verrechnung: Hier
zieht die Kasse automatisch einen Betrag in Höhe der Zuzahlung ab,
wenn sie das Geld für die Leistung überweist. Der Verlust liegt also
beim Händler. «Er kann auf die Zuzahlung ohne Weiteres verzichten»,
begründet der Senatsvorsitzende Wolfgang Büscher die Entscheidung.

Was bedeutet das Urteil für Kassenpatienten?

«Für die Versicherten können sich dadurch erhebliche Einsparungen
ergeben», sagt BGH-Sprecherin Dietlind Weinland. Denn zu den
Hilfsmitteln zählen längst nicht nur Diabetiker-Produkte, sondern
auch Kompressionsstrümpfe, Inkontinenzhilfen, Blutdruckmesser oder
Hörgeräte. Einen Preiswettbewerb gibt es aber nur, wenn die Händler
den finanziellen Spielraum haben, sich die Zuzahlung entgehen zu
lassen. Im Fall der verklagten Dr. Schweizer GmbH ging es um Beträge
von höchstens zwei Euro, wie sie für die Abgabe von Teststreifen oder
Lanzetten an Diabetiker fällig werden. Der Firma war es zu aufwendig,
jedem Kunden im Online-Shop deswegen eine Rechnung zu schicken.

Wie passt der Fall zur Situation auf dem Arzneimittel-Markt?

«Wir haben ein grundsätzliches Problem», meint Köber. «Einerseits

gibt es im Hinblick auf das sensible Rechtsgut Gesundheit viele
Regeln. Andererseits wird Wettbewerb gefordert, um möglichst günstige
Preise zu erzielen. Das passt nicht immer zusammen.» Größte Baustelle

ist im Moment der Streit um die deutsche Preisbindung: Bundesweit
haben alle Apotheken rezeptpflichtige Medikamente zum selben Preis
abzugeben. Daran mussten sich auch ausländische Online-Apotheken wie
DocMorris halten - bis zu einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs
(EuGH) im Oktober, der den freien Warenverkehr behindert sah.
Angestrebt ist jetzt, die deutsche Praxis durch ein komplettes Verbot
des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Medikamenten zu retten.

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