Tabuthema Sex - Aufklärung per App in Kamerun Von Ngala Chimtom und Kristin Palitza, dpa

Aufklärung und Gespräche über Sex sind in vielen Ländern Afrikas ei
n
Tabu. Eine App soll nun jungen Menschen helfen, mehr über ihren
Körper und ihre Sexualität zu lernen - anonym und kostenfrei.

Jaunde (dpa) - Als Valerie Akaba zum ersten Mal ihre Tage bekam,
schämte sie sich. Sie fürchtete, die Blutung könnte eine Krankheit
sein. Mit 15 wurde die junge Frau aus Kamerun schwanger. «Ich war im
vierten Monat und wusste es nicht. Die Regelblutungen hatten
aufgehört und ich dachte, ich sei auf wundersame Art von einer
Krankheit geheilt worden», erinnert sie sich an die Ereignisse von
vor drei Jahren.

Mit der Tochter über Sex zu sprechen, das war für ihre Eltern
unmöglich. Dieses Tabuthema wird in dem konservativen
westafrikanischen Land nicht angesprochen. Wie viele Teenager kam
Valerie in die Pubertät, ohne die Veränderungen zu verstehen, die ihr
Körper durchmachte. So konnte sie auch keine Entscheidungen über ihre
sexuelle Gesundheit treffen. Sie entschied sich für eine illegale
Abtreibung, die sie fast das Leben kostete.

Etwa 40 Prozent aller Schwangerschaften in Kamerun sind ungeplant,
wie aus einem Bericht des Guttmacher-Instituts aus dem Jahr 2014
hervorgeht. Mehr als ein Drittel von ihnen werde mit unsicheren
Abtreibungen abgebrochen, schrieb das US-Institut. Knapp 15 Prozent
aller Mädchen im Alter zwischen 15 und 19 waren mindestens einmal
schwanger. Teenager wissen kaum etwas über HIV,
Geschlechtskrankheiten, Familienplanung oder einfach nur Sex an sich.

Das möchte Mallah Tabot, eine 28 Jahre alte Unternehmerin, nun
ändern. Sie hat mit «Ndolo360» eine App entwickelt, mit deren Hilfe
Nutzer anonym Fragen über Sexualhygiene und sexuelle Gesundheit
stellen können. «Sexperten» wie Ärzte oder Sozialarbeiter geben ras
ch
Antwort. Die App wurde vor einigen Wochen eingeführt und ist auf
Englisch und Französisch erhältlich. In der App finden Nutzer
Informationen über Sex und Familienplanung, Spiele und Quiz, sowie
eine landesweite Datenbank mit Einrichtungen für Jugendliche. «Ndolo»

heißt «Liebe» in der Sprache der Duala-Volksgruppe.

Tabot warnt vor einem Teufelskreis von Teenager-Schwangerschaften,
erhöhten HIV-Infektionsraten, Sterblichkeit und Erkrankungen, solange
es keine alternativen Möglichkeiten gibt, jungen Menschen
Aufklärungsunterricht zu geben - jenen, die ihn am dringendsten
brauchen. «Die Menschen haben das Recht, Entscheidungen über ihren
Körper zu treffen, und diese App wurde entwickelt, um ihnen zu
helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen», sagt Tabot, die
auch für die Hilfsorganisation United Vision tätig ist. Diese bietet
in der Hauptstadt Jaunde Sexualkunde-Informationen an.

Benutzer zeigten sich in ersten Kommentaren auf der Internetseite von
«Ndolo360» zufrieden: «Ich habe viele Dinge entdeckt, von denen ich
glaubte, dass ich sie wüsste, aber falsch lag», schreibt jemand. Ein
andere Nutzerin meint: «Es gibt dort die richtigen Infos über
sexuelle Gesundheit, die ich von meinen Eltern noch nicht bekommen
habe.»

Die App habe das Potenzial, kulturelle Barrieren zu umgehen, meint
auch Rogers Ajeh, vom Institut für Entwicklungsforschung in Kameruns
Hauptstadt Jaunde. Er schlägt sogar vor, mit Hilfe von eingebauter
Software statistische Daten zu sammeln, um den Effekt der App zu
messen.

Valerie, die mittlerweile als Friseurin arbeitet, gehört zu den
ersten Benutzerinnen von «Ndolo360». Über Sex zu sprechen, falle ihr

so viel leichter, sagt sie. «Es ist viel einfacher, wenn man
jemandem, den man nicht kennt, eine Nachricht schickt und passende
Erklärungen für das Problem bekommt.»