Kinderschutz: Therapien für Pädophile auf Krankenschein geplant

Therapien für pädophile Männer? Vor gut einem Jahrzehnt rief diese
Idee auch Widerstand hervor. Heute steht zur Debatte, diese Hilfe zu
einer Kassenleistung zu machen - um Kinder besser vor sexuellem
Missbrauch zu schützen.

Berlin (dpa) - Vorbeugende Therapien für Männer mit pädophilen
Neigungen könnten in Zukunft eine Leistung der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) werden. Geplant sei noch in diesem Jahr
eine Gesetzesänderung, sagte Lutz Stroppe, Staatssekretär des
Bundesministeriums für Gesundheit, am Dienstag in Berlin. Dadurch
könnte der GKV-Spitzenverband den Auftrag für ein Modellvorhaben
erhalten. Für diese fünfjährige Erprobungsphase seien fünf Millione
n
Euro pro Jahr veranschlagt - verbunden mit einer wissenschaftlichen
Analyse über den Nutzen der Therapien. Hauptziel sei ein besserer
Schutz von Kindern vor sexuellem Missbrauch.

Die neue Regelung wäre ein Durchbruch für den Sexualwissenschaftler
Klaus M. Beier und sein Team. 2005 riefen die Forscher an der
Berliner Charité das Präventionsprojekt «Kein Täter werden» ins
Leben. Bekannt wurde es durch Plakat- und TV-Kampagnen unter dem
Motto: «Lieben Sie Kinder mehr als ihnen lieb ist?» Beiers Ziel war
es, Männer zu erreichen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen
fühlen - möglichst bevor sie Übergriffe begehen. Der Ansatz im
«Dunkelfeld» - also ohne Verdacht oder Anzeigen bei der Polizei - sei
weltweit einmalig.

Die Resonanz auf das Hilfsangebot in Berlin war so groß, dass es
«Kein Täter werden» inzwischen in zehn weiteren Bundesländern gibt.

Insgesamt gab es mehr als 7000 Anfragen nach Hilfe in rund einem
Jahrzehnt. Fast 3000 Männer stellten sich einer Diagnostik, mehr als
1000 erhielten ein Therapieangebot, berichtet Beier. Dort lernen sie
zum Beispiel in Rollenspielen und Empathie-Trainings, dass Kinder
keinen Sex wollen. Auch Medikamente, die den Sexualtrieb
unterdrücken, stehen zur Verfügung. Rund 250 Männer haben eine
Therapie bislang erfolgreich abgeschlossen. 140 brachen sie
allerdings auch ab, berichtet Beier. Von 23 Männern erhielt er nach
fünf Jahren die Rückmeldung, dass sie keine Übergriffe begangen
haben.

Beier geht davon aus, dass rund ein Prozent der Männer pädophil
veranlagt sind. Die Anlage lasse sich in bildgebenden Verfahren im
Gehirn nachweisen. Rund 40 Prozent des Kindesmissbrauchs geht nach
seinen Schätzungen auf diese Tätergruppe zurück. Der Rest seien unter

anderem Ersatzhandlungen von Menschen mit Persönlichkeitsstörungen
oder Gewalttätern, die in Kindern als wehrlosen Opfern den Weg des
geringsten Widerstands sehen.

Die Finanzierung von «Kein Täter werden» blieb trotz all dieser
Erkenntnisse bisher unsicher. In den vergangenen Jahren schoss neben
den Bundesländern das Bundesjustizministerium bis zu eine halbe
Million Euro pro Jahr zu. Mehr als 1,5 Millionen Euro an allen
Standorten kamen so aber nicht zusammen.

Die Förderung des Justizministeriums läuft Ende des Jahres aus.
Dauerhaft Geld zu geben, sei ihrem Haus aus rechtlichen Gründen nicht
möglich, sagte Christiane Wirtz, Staatssekretärin im
Bundesministerium der Justiz, am Dienstag. Versiegen sollte die
Finanzspritze aber auch nicht. Wirtz hat die bundesweite
Kriminalstatistik im Blick, mit rund 14 000 Fällen von sexueller
Gewalt gegen Kinder im Jahr. Das Dunkelfeld neben den registrierten
Fällen gilt als weitaus größer. «Wenn wir Tätern helfen, ihre
Neigungen zu unterdrücken, ist das der beste Opferschutz», ergänzte
Wirtz. Deshalb gab es die Idee, die Therapien zu Regelleistungen der
gesetzlichen Kassen zu machen.

Doch pädophilen Männern, die sich freiwillig für das Therapieangebot

interessieren, wird bisher Anonymität zugesichert. Das soll so
bleiben - doch das macht es für die Kassen schwer. Für das geplante
Modellprojekt sei deshalb eine Änderung im fünften Sozialgesetzbuch
nötig, erläuterte Staatssekretär Stroppe. Darüber solle im November

der Bundestag und im Dezember der Bundesrat entscheiden. Bis die neue
Finanzierung greifen würde, kann es also dauern. Das Land Berlin hat
bereits angekündigt, das Charité-Projekt in der Hauptstadt 2017 mit
570 000 Euro zwischenzufinanzieren.