70 000 Beschäftigte nehmen Pflege-Auszeit

Wer neben seinem Job einen Angehörigen pflegt, soll entlastet werden.
Deshalb kann man eine berufliche Pause einlegen - eine Möglichkeit,
die schon Zehntausende genutzt haben. Viel zu wenig, finden Kritiker.

Berlin (dpa) - Zur Pflege eines schwerkranken Angehörigen haben in
den vergangenen beiden Jahren etwa 70 000 Arbeitnehmer eine
berufliche Auszeit eingelegt. Das geht aus aktuellen Zahlen des
Bundesfamilienministeriums hervor, die der Deutschen Presse-Agentur
vorliegen.

Neben der Möglichkeit, ein halbes Jahr lang komplett aus dem Job
auszusteigen, gibt es seit dem Vorjahr einen Rechtsanspruch auf die
sogenannte Familienpflegezeit. Sie ermöglicht es Arbeitnehmern, ihre
Arbeitszeit für 24 Monate auf 15 Wochenstunden zu reduzieren.

Knapp zwei Jahren nach Inkrafttreten dieser Reform liegen nun die
ersten Ergebnisse vor. Nach einer Umfrage, die das Institut TNS Emnid
im Auftrag des Ministeriums durchgeführt hat, nahmen seit der Reform
Anfang 2015 mindestens 68 288 Beschäftigte die Möglichkeiten einer
Freistellung in Anspruch.

Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) zeigte sich äußerst
zufrieden: «Die Neuregelungen zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf
greifen», erklärte die Sozialdemokratin. «Die Auszeiten werden
erfreulicherweise mehr und mehr in Anspruch genommen.»

Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz sprach
dagegen von «Augenwischerei». Angesichts von insgesamt 360 000
pflegenden Berufstätigen sei die Zahl von 68 000 Auszeiten
«desaströs».

Die Kritiker bemängeln fehlende finanzielle Hilfen, um den
Verdienstausfall während der Auszeit auszugleichen. Die seit 2015
geltenden Verbesserungen seien nicht ausreichend. Den sechsmonatigen
Komplett-Ausstieg aus dem Beruf gibt es schon länger, doch erst seit
der jüngsten Reform können die finanziellen Einbußen durch ein
zinsfreies Darlehen ausgeglichen werden. Dieses Darlehen muss jedoch
nach der Pflegezeit zurückgezahlt werden, weshalb Skeptiker diese
Maßnahme von Anfang an als wirkungslos bezeichnet hatten.

Tatsächlich musste das Ministerium einräumen, dass bis zum Juli erst
445 derartige Darlehen beantragt und lediglich 358 bewilligt wurden.
«Also haben genau 0,1 Prozent der Anspruchsberechtigten tatsächlich
etwas von der neuen gesetzlichen Regelung», beklagte Brysch. Einen
Lohnersatz, der nicht zurückgezahlt werden muss, gibt es nur bei der
zehntägigen Auszeit, die zur Bewältigung eines kurzfristigen
Pflegefalls genommen werden kann. Diese Möglichkeit haben nach
Ministeriumsangaben bislang rund 13 600 Menschen genutzt. Brysch hält
jedoch auch diese Zahl für zu niedrig.

Bundesweit sind etwa 2,6 Millionen Menschen pflegebedürftig. Laut
Statistik werden mehr als zwei Drittel von ihnen in den eigenen vier
Wänden versorgt - entweder durch Pflegedienste oder durch Verwandte.