Deutsche Medikamenten-Preisbindung nach EuGH-Urteil auf der Kippe Von Alkimos Sartoros, dpa

Der Europäische Gerichtshof sieht bei der deutschen
Medikamenten-Preisbindung EU-Recht verletzt. Nach einem
entsprechenden Urteil sind einige Fragen aber noch offen.

Luxemburg (dpa) - Von Garmisch-Partenkirchen bis Flensburg: Ein
einzelnes verschreibungspflichtiges Medikament kostet in Deutschland
stets dasselbe. Egal, ob man es in einer Online-Apotheke aus dem
Ausland bestellt oder in einer Apotheke vor Ort kauft. Dafür sorgt
die Medikamenten-Preisbindung. Der Europäische Gerichtshof stellt
dieses System nun in Frage. Die Konsequenzen sind noch nicht völlig
absehbar.

Wie funktioniert die Medikamenten-Preisbindung in Deutschland?

Medikamenten-Hersteller - also die Pharmaunternehmen - können
zunächst selbst festlegen, zu welchen Preisen sie Arzneimittel an
Apotheken und Großhändler abgeben. Diese erheben dann auf ihre
Einkaufspreise gesetzlich festgeschriebene Zuschläge. Für ein
rezeptpflichtiges Medikament gilt immer derselbe Aufpreis. Er beträgt
drei Prozent des Einkaufspreises. Zusätzlich dürfen Apotheken pro
Packung 8,35 Euro berechnen.

An die einheitlichen Abgabepreise müssen sich aktuell auch
Versandapotheken mit Sitz im EU-Ausland halten. Bei gesetzlich
Versicherten zahlen den Preis - abgesehen von Patienten-Zuzahlungen -
die Krankenkassen, er gilt aber genauso für privat Versicherte. Aus
eigener Tasche müssen gesetzlich Versicherte Medikamente, die als
medizinisch notwendig eingestuft wurden, nicht bezahlen.

Was hat der Europäische Gerichtshof nun geurteilt?

Nach Ansicht der Luxemburger Richter behindert die deutsche
Preisbindung den grenzüberschreitenden, freien Warenverkehr. Sie
könne Anbietern aus anderen EU-Ländern den Zugang zum deutschen Markt
erschweren und sei daher nicht mit EU-Recht vereinbar.

Ist der EuGH für die deutsche Preisbindung überhaupt zuständig?

Die gesetzliche Medikamenten-Preisdeckelung ist von keiner
EU-Verordnung oder -Richtlinie erfasst und liegt allein in deutscher
Verantwortung. Durch den Aspekt des grenzüberschreitenden
Warenverkehrs ist jedoch EU-Recht berührt. Der Gerichtshof stellt
infolgedessen in seinen Urteilsausführungen das gesamte
Preisbindungs-System infrage.

Was sagt die Bundesregierung?

Die Preisdeckelung soll nach Angaben des
Bundesgesundheitsministeriums gewährleisten, dass Medikamente nicht
zu teuer werden und dass damit die Krankenkassenbeiträge bezahlbar
bleiben. Nach dem Urteil ist die Regelung aus Sicht des Ministeriums
nicht mehr auf Versandapotheken im Ausland anwendbar. Weitere
Konsequenzen würden nun geprüft. Priorität habe das flächendeckende

Apotheken-Netz in Deutschland.

Was bedeutet das Urteil für Patienten?

In letzter Konsequenz ist das noch unklar. Verbraucherschützer sehen
das Urteil für Patienten erst einmal grundsätzlich positiv. «Sie
könnten bei verschreibungspflichtigen Medikamenten künftig Kosten
sparen, wenn Sie bei ausländischen Versandapotheken bestellen», sagt
etwa der Gesundheitsexperte des Verbraucherzentrale Bundesverbands,
Kai Vogel.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe betont zudem: «Ich bin fest
entschlossen, das Notwendige zu tun, damit die flächendeckende
Arzneimittelversorgung auf hohem Niveau durch ortsnahe Apotheken
weiterhin gesichert bleibt.»

Denkbar ist längerfristig etwa, dass die Bundesregierung den
Versandhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten aus dem Ausland
einschränkt, um inländische Apotheken vor Preisdruck zu schützen.

«Welche Auswirkungen die heutige Entscheidung für Patienten hat, ist
nicht abzuschätzen», sagt auch der Vorstand der Deutschen Stiftung
Patientenschutz, Eugen Brysch. «Für die Versicherten ist das
Preisspiel zwischen Kostenträgern und Pharmaindustrie vollkommen
undurchsichtig. Das liegt auch an der unprofessionellen
Verhandlungsstrategie der Krankenkassen. Jedenfalls ist der
gesetzlich garantierte Besitzstand der Apotheker beendet.»