Sportausschussvorsitzende Freitag: «Einwände nicht vom Tisch fegen» Interview: Andreas Schirmer, dpa

Der Sportausschuss des Deutschen Bundestages hat für Mittwoch zu
einer öffentlichen Anhörung zur Leistungssportreform nach Berlin
eingeladen. Experten sollen über die Eckpunkte der Reform urteilen,
Stärken und Schwächen analysieren.

Berlin (dpa) - Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im
Deutschen Bundestag, kritisiert die fehlende breite gesellschaftliche
Diskussion über die Reform des Spitzensports in Deutschland. Bei
einer Neuausrichtung der Förderung des Spitzensports gehöre auch eine
«gesellschaftliche Debatte» darüber dazu, sagte die SPD-Politikerin
im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Frage: Der Endspurt bei der Leistungssportreform hat begonnen.
Endlich?

Antwort: Es sind schon zu viele Jahre in Deutschland verloren
gegangen. Die Entwicklung ist ja nicht über Nacht über uns
hereingebrochen, sondern war spätesten seit 2008 absehbar. Außerdem
zeigen die mehrfachen völlig verfehlten Medaillenprognosen seitens
des DOSB, dass Einschätzung, Strukturen und Förderung schon lange
nicht mehr zueinander gepasst haben. Im Grundsatz ist es deshalb
richtig, Strukturen zu hinterfragen, zu überdenken und sie neu
auszurichten.

Frage: Es hat aber in den vergangenen Monaten viel Kritik zur Reform
gegeben, die lange zwischen dem Deutschen Olympischen Sportbund und
dem Bundesinnenministerium hinter verschlossenen Türen ausgehandelt
wurde.

Antwort: Klar ist auch, dass jede Veränderung nicht nur Zustimmung,
sondern auch Gegenwind hervorrufen würde. Das ist zurzeit der Fall.
So wird über das nun vorliegende Konzept relativ heftig in den
Spitzenverbänden diskutiert, die aus meiner Sicht zu wenig Zeit
hatten, sich mit den Details der Reform auseinanderzusetzen, was
nicht nur zu bedauern, sondern auch zu kritisieren ist. Was mir
persönlich fehlt, ist die Möglichkeit einer breiten
gesellschaftlichen Diskussion. Der DOSB hat den Begriff
'Sportdeutschland' kreiert. Wer oder was ist Sportdeutschland
überhaupt? Der Begriff ist nie mit Leben und Inhalt erfüllt worden.
Wenn es ein Sportdeutschland geben soll, gehört über die
Neuausrichtung der Förderung des Spitzensports auch eine
gesellschaftliche Debatte dazu.

Frage: Die zuletzt nicht so erfolgreichen Spitzenverbände fürchten,
weniger Fördermittel zu erhalten. Ist Medaillen gewinnen die einzige
Daseinsberechtigung?

Antwort: So stellt sich beispielsweise die Frage, ob eine Sportart
wie Schwimmen, weil zwei Mal in Folge bei Olympischen Spielen im
Beckenschwimmen keine Medaille gewonnen wurde, gänzlich in der
finanziellen Förderung ausgeschlossen werden kann oder soll. Ich
denke, nein, weil es eine Sportart mit großer gesellschaftlicher
Relevanz ist: Bei der Gesundheitsförderung und weil damit Leben
gerettet werden können. Und da Spitzensport immer auch eine Wirkung
in die Breite hat, muss so etwas aus meiner Sicht auch berücksichtigt
werden.

Frage: Nicht berücksichtigt wird bei der Reform bis jetzt, mit
welcher Konkurrenz die verschiedenen Sportarten wetteifern müssen.

Antwort: Fraglich ist, inwieweit die internationale
Konkurrenzsituation berücksichtigt worden ist. Es ist doch ein
Unterschied, ob Athleten von zwei oder drei Kontinenten auf Weltebene
im Wettkampf aufeinander treffen oder Sportler aus allen fünf
Erdteilen um Medaillen ringen. Erfolg alleine an der Zahl erzielbarer
Goldmedaillen zu definieren, ist nicht nur fahrlässig, sondern auch
falsch.

Frage: Auch die Doping-Situation im Weltsport ist in der Reform nicht
berücksichtigt.

Antwort: Wir als Gesetzgeber haben uns der Förderung eines sauberen
Sports verschrieben. Das zeigt nicht zuletzt die Verabschiedung eines
wegweisenden Anti-Doping-Gesetzes. Deutsche Athleten sollen ihre
Leistungen manipulationsfrei erbringen, müssen sich aber im Zweifel
mit gedopten Konkurrenten messen. Wir wissen, dass es Nationen gibt,
in denen hemmungslos gedopt wird. Allein deshalb kann man Erfolg
nicht ausschließlich an der Goldmedaillen-Chance festmachen. Und die
grundsätzliche Frage muss lauten: Wollen wir uns tatsächlich mit
Nationen und Systemen wie beispielsweise in Russland, China oder
Kenia vergleichen, um nur wenige Beispiele zu nennen? Auf diese und
andere Fragen sollen die externen Experten in der Öffentlichen
Anhörung des Sportausschusses Antwort geben.

Frage: Ist das vom DOSB vorgelegte Reform-Modell noch wesentlich
veränderbar?

Antwort: Es wurde lange hinter verschlossenen Türen verhandelt. Es
ist nachvollziehbar, dass solche grundsätzliche Diskussionen nicht
auf dem Marktplatz stattfinden können, aber sowohl Politik als auch
Spitzenverbände fühlen sich unzureichend eingebunden. Daher sind alle
am Prozess Beteiligten sicher gut beraten, Stellungnahmen, Einwände
und konstruktive Vorschläge nicht einfach vom Tisch zu fegen, sondern
sie einer gründlichen und ergebnisoffenen Prüfung zu unterziehen.

ZUR PERSON: Die SPD-Politikerin Dagmar Freitag ist seit 2009
Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, dem sie seit 1994
angehört.