Chefarzt missbraucht Frauen im Krankenhaus und kämpft gegen Urteil Von Sophie Rohrmeier, dpa

Ein ehemaliger Chefarzt hat in seiner Klinik Patientinnen und
Mitarbeiterinnen sexuell genötigt, missbraucht und auch vergewaltigt.
Das Gericht sieht das als erwiesen an. Der Mann aber kämpft weiter um
seine Reputation.

Bamberg (dpa) - Medizinische Motive und sonst nichts - das ist bis
zuletzt seine Verteidigung. Ein Chefarzt am Klinikum Bamberg führte
mehreren Frauen Gegenstände ein oder einen Finger und fotografierte
dann ihren Intimbereich. Zuvor habe er die jungen Frauen betäubt,
sagt das Gericht. Alles fachlich gerechtfertigt, sagt er. Ein
Chefarzt gilt viel in Deutschland, doch dieser Mann hat auf seinen
Titel wohl zu sehr vertraut.

Zu sieben Jahren und neun Monaten Haft verurteilt das Landgericht
Bamberg den 51-Jährigen am Montag. Wegen schwerer Vergewaltigung,
schwerer sexueller Nötigung, schweren sexuellen Missbrauchs,
gefährlicher Körperverletzung und Verletzung der Intimsphäre - in
mehreren Fällen. Fünf Jahre Berufsverbot als Mediziner kommen dazu.

«Ich bin weder Sex-Arzt noch Dr. Pervers», beteuerte der frühere
Chefarzt für Gefäßmedizin zu Prozessbeginn. Er habe kein sexuelles
Motiv gehabt, sondern neue Behandlungsmethoden erproben wollen. Kurz
vor dem Urteil am Montag hebt er noch einmal an und liest eine
Erklärung vor. «Nach bestem Wissen und Gewissen» habe er als
Mediziner gehandelt, immer leitliniengetreu.

Das sieht der Vorsitzende Richter Manfred Schmidt anders: Das
sexuelle Motiv liege auf der Hand. Es gebe keinen Grund, die Frauen
zu betäuben - auch keinen innovativen. Und: «Er hat das
Vertrauensverhältnis verletzt.»

Die Anwälte des Mannes kündigen Revision an, sie haben teils eine
Bewährungsstrafe, teils Freispruch gefordert. Eine Geldstrafe, so
einer von ihnen in seinem Plädoyer, sei angemessen - in einem Fall.
Dieser Fall ist Nummer 13 auf der Liste der Staatsanwaltschaft. Es
ist der einzige ohne medizinischen Kontext und der einzige, zu dem
der Spezialist für Thrombosen keine fachliche Erklärung zu liefern
versucht.

Es geht um eine Nacht in einem Hotel, mit der Patentochter seiner
Frau. Er lädt die 18-Jährige zu einem Musical ein, trinkt mit ihr
Schnaps. Später, im Zimmer, liegt sie auf dem Bett. Sie habe mit
einem Einzelzimmer für sich gerechnet, so die Anklage, aber es ist
ein Doppelzimmer. Er versteckt eine Kamera und filmt die Frau,
teilweise nur in BH und Slip. Und er filmt sich, wie er mit einem
«stabförmigen Gegenstand» über ihren Körper streicht.

Oberstaatsanwalt Bernhard Lieb hat ihm vorgeworfen, die Intimsphäre
der Frau verletzt zu haben, und er schließt von diesen Videos auf die
anderen Fälle. Lieb sieht darin sexuelle Handlungen - und sieht sie
deshalb auch in den Bildern und Videos von den zwölf jungen Frauen
aus der Klinik. Keiner soll der damalige Chefarzt gesagt haben, dass
er sie fotografieren oder filmen würde. Die Dateien aber hat er
gespeichert. Darauf ist zu sehen, dass er manchen der Frauen, die
ansprechbar, aber willenlos gewesen sein sollen, eine
Ultraschallsonde einführt. Oder Sexspielzeug, sogenannte Butt-Plugs,
vaginal und anal. Oder seinen Finger. Den Frauen sagt er, die
Butt-Plugs seien eine «Bluetooth-Gegensonde».

Die letzte von diesen Frauen hat den Prozess angestoßen, vor mehr als
zwei Jahren. Da arbeitet sie als Medizinstudentin in der Klinik, und
der angesehene Arzt soll ihr erzählt haben, er nehme an einer Studie
zu Beckenvenen teil. Sie erklärt sich zu einer Untersuchung bereit.
Er kündigt an, ihr ein Kontrastmittel zu geben. Doch danach kommt es
der damals 26-Jährigen seltsam vor, dass sie sich an die Untersuchung
nicht erinnert. Ihr Vater, der auch Arzt ist, nimmt ihr Blut ab. Ein
Labor findet darin Midazolam - ein Betäubungsmittel.

Auch den elf Frauen vor ihr soll er zwischen 2008 und 2014 ein
Kontrastmittel angekündigt und stattdessen Midazolam gegeben haben -
das Gericht hält das für erwiesen. Bis zuletzt sagt der Ex-Chefarzt
nicht, welches Mittel das gewesen sein soll, er hat es in keinem
Befund vermerkt. Alle Frauen berichten, sie könnten sich gar nicht
oder nur sehr vage erinnern an die Termine.

Der Ex-Chefarzt aber bleibt bei seiner Version. Vor Gericht sagt er:
Es tue ihm leid, was die Frauen beim Betrachten der Bilder empfunden
hätten. Vielleicht, sagt er, hätte er ihnen deutlicher erklären
sollen, was er mache - aber das mache ihn nicht zum Sexualstraftäter.
Ein Gutachter attestiert dem Mann, er neige zur Selbstüberschätzung,
zur Grenzüberschreitung. Im Gerichtssaal ergreift er als Angeklagter
oft selbst das Wort, listet seine Erfolge auf, erklärt alle
Sachverständigen für ungeeignet.

Seit August 2014 sitzt der Angeklagte in Untersuchungshaft. «Er ist
aus einer Chefarzt-Stellung so tief gefallen, wie es fast tiefer
nicht geht», sagt auch Richter Schmidt. Ein juristisches Urteil gibt
es erst jetzt, das gesellschaftliche ist schon vor zwei Jahren
gefallen. Das machen die Verteidiger des Mannes den Behörden und den
Medien zum Vorwurf: Sie hätten «Vorurteilsproduktion» betrieben. Als

die Vorwürfe im August 2014 bekanntwerden, ziehen die Klinik Bamberg
und die Deutsche Gesellschaft für Phlebologie Konsequenzen. Der
Chefarzt, der anerkannte Fachmann, ist keiner mehr.