Krebs und Alzheimer stehen bei Pharmaforschern im Fokus Von Nadine Murphy, dpa-afx

Krebs, Multiple Sklerose, Alzheimer - in den Pipelines der
Pharmakonzerne stehen Mittel gegen die bedrohlichen Krankheiten
unserer Zeit im Vordergrund. Einige davon haben aus Expertensicht
Blockbusterpotenzial.

Frankfurt (dpa) - Millionen Patienten hoffen, dass Pharmakonzerne
Mittel gegen Krebs, Alzheimer oder andere Krankheiten entwickeln. Der
Markt mit Arzneimitteln wächst - denn Menschen in Schwellenländern
bekommen besseren Zugang zu medizinischer Versorgung und in
Industriestaaten gelangen neue hochpreisige Arzneien auf den Markt.
Weil die Forschung Krankheiten immer tiefer ergründet und in immer
kleinere Gruppen unterteilt, wird es für Pharmafirmen aber
schwieriger, Blockbuster - also Medikamente mit Milliardenumsätzen -
auf den Markt zu bringen. Vor allem bei Krebs und Alzheimer sehen
Experten aber riesiges Potenzial - für die Unternehmen an Umsätzen.
Und für die Patienten als Therapie-Hoffnung.

Im vergangenen Jahr gab es Erhebungen der Branche (Verband
Forschender Arzneimittelhersteller, vfa) zufolge mehr als 300
Medikamentenentwicklungen, bei denen eine Zulassung bis 2019 möglich
erschien. Mehr als ein Drittel davon sind Therapien gegen Krebs. Das
liegt einerseits an der Häufigkeit und Bedrohlichkeit der Krankheit -
laut Robert-Koch-Institut gibt es in Deutschland jährlich 500 000
Neuerkrankungen und Statistiken zufolge 230 000 Todesfälle.
Andererseits profitiert die Industrie heute von der
Grundlagenforschung seit Ende der 80er Jahre. Es gibt heute schon
viele Medikamente, die Überlebensraten sind stark gestiegen. Der
aktuelle Hoffnungsträger ist die sogenannte Immunonkologie, bei der
die körpereigene Immunabwehr zum Kampf gegen Krebs mobilisiert wird.

Viel wird auch gegen Entzündungs- oder Autoimmunkrankheiten
entwickelt. Dazu gehören neben der Multiplen Sklerose (MS) auch
Gelenkrheuma, Asthma und entzündliche Darmerkrankungen. Außerdem wird
an neuen Antibiotika gearbeitet, um Bakterien trotz zunehmender
Resistenzen bekämpfen zu können. Dazu kommen Impfstoffe: 72 neue
Impfungen werden laut vfa derzeit gegen 26 Krankheiten in Studien
erprobt. «Zum einen gewinnen früher wenig beachtete Krankheiten wie
Ebola, Zika oder Dengue-Fieber an Bedeutung. Zum anderen lassen sich
heute durch technologische Fortschritte früher unvorstellbare
Impfstoffe entwickeln», sagt Siegfried Throm, Geschäftsführer
Entwicklung beim vfa.

Das größte Umsatzpotenzial haben laut Siegfried Bialojan,
Pharmaexperte von der Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY), die
immunonkologischen Präparate. «Sie könnten in die Nähe von
Blockbustern kommen», sagte er. Durch die zunehmende Kategorisierung
der Krebserkrankungen würden zwar die einzelnen Patientengruppen
kleiner, insgesamt blieben sie aber angesichts der hohen Gesamtzahl
der Erkrankten groß. So will das Darmstädter Unternehmen Merck noch
in diesem Jahr mit dem US-Konzern Pfizer für den Produktkandidaten
Avelumab einen ersten Zulassungsantrag stellen. «Merck könnte mit
Avelumab einen Blockbuster haben», schätzt Bialojan, «für die beide
n
Unternehmen wäre es ein wahnsinniger Schritt voran».

Dringend suchen Forscher nach einem Mittel, um Alzheimer in den Griff
zu bekommen, vor allem mit Blick auf die älter werdende Gesellschaft
und die dadurch steigenden Patientenzahlen. Viele Pharmafirmen haben
sich an dieser Demenz-Krankheit in den vergangenen Jahren die Zähne
ausgebissen, jetzt gibt es wieder eine ganze Reihe neuer Ansätze.
«Alzheimer ist das nächste große Thema in der Pharmaforschung», sag
t
Bialojan. Im Vergleich zur Onkologie ist die Grundlagenforschung hier
aber komplexer, das Gehirn des Menschen ist schwieriger zu
erforschen. Bisher geht es um Mittel, die die Krankheit verlangsamen.
Etwas, das sie komplett aufhält, hat noch niemand entdeckt.

Auf dem Vormarsch sind biotechnologisch hergestellte, also nicht
chemisch sondern in einer lebenden Zelle hergestellte Arzneimittel.
Ihr Anteil am weltweiten Pharmamarkt lag nach Berechnungen des
Beratungsunternehmens IMS Health im vergangenen Jahr bei 21 Prozent,
bis zum Jahr 2020 könnte er dessen Einschätzung zufolge auf 28
Prozent steigen. Stefan Rinn, Geschäftsführer bei Boehringer
Ingelheim, geht davon aus, dass der Umsatzanteil mittelfristig in
Richtung 50 Prozent geht. Das Pharmaunternehmen weitet seine
Biotech-Produktion aus. So investierte es zuletzt 500 Millionen Euro
am Standort in Wien, auch in Shanghai wird gebaut. Von Boehringer
kommt zum Beispiel das biotechnologisch hergestellte Mittel Praxbind,
ein Gegenmittel zum Gerinnungshemmer Pradaxa.

Bei den vfa-Mitgliedsunternehmen werden mittlerweile 40 Prozent der
neuen Wirkstoffe in den Pipelines biotechnologisch hergestellt. «Das
ist vor allem einem sehr vielseitigen Wirkstoff-Typ zu verdanken: den
monoklonalen Antikörpern», sagt vfa-Geschäftsführer Throm. Diese
Antikörper sind menschlichen Abwehrmolekülen nachempfunden. Sie
könnten von Forschern genetisch für eine bestimmte Aufgabe «designt
»
werden. Zum Beispiel so, dass sie Entzündungshormone im Körper
abfangen oder Giftstoffe gezielt zu Krebszellen tragen, erklärt er.

Einen weiteren Schub bei biopharmazeutischen Therapien erwartet der
Pharmazeut durch das neue Crispr-Cas-System. Das Verfahren wurde
kürzlich entdeckt und gilt als Revolution in der Gentechnik. Mit der
Technologie können Teile der DNA schnell und präzise ausgeschnitten
und verändert werden. Forscher erhoffen sich Lösungen im Kampf gegen
Erbkrankheiten. Kritiker befürchten dagegen ethisch fragwürdige
Eingriffe in die menschliche DNA. Experten gehen davon aus, dass es
noch Jahre dauern wird, bis darauf basierende Therapien zugelassen
werden.