Schonfrist für Krankenversicherte - Warum die Beiträge stabil bleibenVon Basil Wegener, dpa

Berlin (dpa) - Im Jahr der Bundestagswahl müssen die Mitglieder der
Krankenkassen aller Voraussicht nach keine höheren Beiträge zahlen -
ausnahmsweise. Das Wichtigste zu dieser Entwicklung im Überblick:

Was kommt auf die Versicherten zu?

Voraussichtlich keine Veränderung: Der allgemeine Beitragssatz von
14,6 Prozent, getragen je zur Hälfte von Arbeitgebern und
Arbeitnehmern, ist ohnehin gesetzlich fixiert. Nun soll aber auch der
alleine von den 55 Millionen Kassenmitgliedern zu zahlende
durchschnittliche Zusatzbeitragssatz laut offizieller Schätzung bei
1,1 Prozent stabil bleiben. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU)
dürfte bei der endgültigen Festlegung dieses Zusatzbeitrags kaum
davon abweichen. Und auch große Kassen lassen schon durchblicken,
dass sie von ihrer Möglichkeit, mehr zu nehmen als heute, nicht
Gebrauch machen werden.

Was war ursprünglich erwartet worden?

Ein spürbar steigender Zusatzbeitrag. «Wir werden im nächsten Jahr
voraussichtlich auf 1,3 bis 1,4 Prozent kommen», sagte die Chefin des
Kassenverbands, Doris Pfeiffer, noch im Juli. Bei einem
Monatseinkommen von 2500 Euro brutto wären das immerhin 90 Euro im
Jahr mehr gewesen.

Worauf ist die Entwicklung nun zurückzuführen?

Zwar dürften die Kosten für Kliniken, Ärzte und Pharma steigen. Laut der seit Donnerstag vorliegenden offiziellen Schätzung für die
Krankenversicherung steigen die Gesundheitsausgaben um 10,7
Milliarden Euro auf 229,1 Milliarden 2017. Aber die Regierung will
den Kassen 1,5 Milliarden Euro aus der Reserve des Gesundheitsfonds
zur Verfügung stellen - für die Flüchtlingsversorgung und die
Digitalisierung von Praxen. Kritiker sagten, die Flüchtlinge
verursachten noch gar nicht viel mehr Kosten. Aber auch die gute
Wirtschaftslage und die Rekordbeschäftigung lassen die Einnahmen
sprudeln - auf 214,8 Milliarden Euro, die in den Fonds fließen.

Warum hat der Zusatzbeitrag seine große Bedeutung?

Die große Koalition verband mit dem jetzigen, seit Anfang 2015
gültigen Finanzierungssystem zwei Ziele. Die Arbeitskosten sollten
nicht immer weiter steigen. Deshalb ist der allgemeine Beitragssatz
fixiert. Der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen sollte aber
gestärkt werden: Sie können den Zusatzbeitrag deshalb individuell
festlegen. Gewerkschaften, Sozialverbände und Opposition fordern eine
Rückkehr zur insgesamt jeweils hälftigen Finanzierung durch
Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Wie wird die Schätzung bewertet?

Für Gröhe zeigt die Schätzung, «dass der Alarmismus, mit dem noch vor
kurzem deutliche Anstiege des Zusatzbeitrages im Jahr 2017 an die
Wand gemalt wurden, völlig unangemessen war». Kassen-Verbandschefin
Pfeiffer erläutert, die zusätzlichen 1,5 Milliarden Euro aus dem
Fonds seien nun ausschlaggebend - und der Allzeitrekord bei der
Beschäftigung. Der Linken-Gesundheitspolitiker Harald Weinberg wirft
Gröhe «Wahlkampfgeschenke» vor. IG-Metall-Vorstandsmitglied
Hans-Jürgen Urban betont: Nach der Bundestagswahl 2017 dürften die
Beiträge doch wieder steigen - es sei nur eine Schonfrist.

Was hat der Streit um Diagnose-Manipulationen damit zu tun?

Die Kassen wollen unbedingt vermeiden, selbst höhere Zusatzbeiträge
nehmen zu müssen, damit ihnen nicht die Mitglieder davonlaufen. Das
könnte ein Motiv sein, dass sie angeblich in großem Stil Ärzte
drängen, Patienten auf dem Papier kränker zu machen als sie sind. Vor
allem Vertreter von Kassen mit überdurchschnittlich vielen Gesunden
fordern, dass der geltende Finanzausgleich zwischen den Kassen nach
ihrer Krankheitslast entschlackt wird.

Was galt vor der schwarz-roten Gesundheitsreform?

Auch von 2009 bis Ende 2014 konnten die Krankenkassen zusätzlichen
Finanzbedarf über individuelle Zusatzbeiträge decken - damals aber
noch in festen Eurobeträgen und nicht als Prozentsatz. In den Jahren
2010, 2011, 2012 erhoben bis zu 13 Krankenkassen einen Zusatzbeitrag
von durchschnittlich 8 Euro. Seit Oktober 2012 nahm keine
Krankenkasse einen Zusatzbeitrag mehr. Stattdessen beteiligten viele
Kassen ihre Versicherten über Prämien und freiwillige
Satzungsleistungen an ihren hohen Finanz-Reserven.