Wimmernd im Bettchen: Zwillingsvater nach Säuglingstod vor Gericht Von Florentine Dame, dpa

Der Verteidiger spricht von einem großen Unglück, die
Staatsanwaltschaft von böswilliger Vernachlässigung: Weil er seine
Säuglings-Zwillinge fallen ließ und erst einen Arzt einschaltete als
der Junge tot im Bettchen lag, steht ein Vater vor Gericht.

Bielefeld (dpa) - Die Liste der Verletzungen, die der Staatsanwalt
zum Prozessauftakt mit kraftvoller Stimme vorträgt, ist lang: Die
damals dreieinhalb Monate alten Zwillingsgeschwister erlitten mehrere
Einblutungen im Hirn, Brüche an der Schädeldecke, Rippenfrakturen.
Der 32 Jahre alte Vater der Säuglinge sitzt mit gesenktem Kopf auf
der Anklagebank. Eines seiner beiden Kinder lebt heute nicht mehr.

Die Staatsanwaltschaft will ihn nun zur Verantwortung ziehen, wirft
ihm böswillige Vernachlässigung seiner Kinder vor, fahrlässige
Körperverletzung, versuchten Totschlag durch Unterlassen. Er soll sie
in dieser Novembernacht 2015 fallen gelassen haben, auf sie gestürzt
sein und sie schwer verletzt in ihr Bett zurückgelegt haben. Den Arzt
schaltete er erst ein, als es zu spät war: Am Morgen war sein Sohn
tot.

In der späteren Obduktion sollten Gerichtsmediziner die schweren
Hirn- und Kopfverletzungen feststellen, auch ältere Knochenbrüche,
Blutergüsse unter der Schädeldecke. Todesursächlich allerdings war
eine Lungenentzündung - ob als Folge andauernder Vernachlässigung ist
unklar, aber möglich. Seine Schwester wurde mit ihren schweren
Verletzungen im Krankenhaus behandelt.

Vor Gericht antwortet der Angeklagte am Donnerstag erst auf Fragen zu
seinem Leben. Schwierige Kindheit, Misshandlungen im Erziehungsheim,
früher Alkoholmissbrauch, dann Drogen. Er riss von zuhause aus,
brachte keine Ausbildung zu Ende, arbeitete nie in einem festen Job.
Als Zwillingsvater nahm er zuletzt täglich Amphetamine, Ecstasy, er
kiffte. Zu den Anklagevorwürfen will er vorerst schweigen.

Am Rande der Verhandlung zeigt sich sein Anwalt Alexander Klemme aber
überzeugt, dass es sich hier um ein großes Unglück handele. «Hier
sitzt ein trauernder Familienvater, der immer eine liebevolle
Beziehung zu seinen Kindern hatte.» Er habe ihnen nie schaden wollen.

Daran, was der Angeklagte nach seiner Festnahme in den Vernehmungen
zu Protokoll gab, erinnern sich zwei Ermittler als Zeugen. Völlig auf
Drogen habe ihn das Schreien der Kinder überfordert. Er habe sie
füttern wollen, der Zwillingsjunge sei zu Boden gestürzt, im Dunkeln
sei er mit dem Mädchen im Arm auf ihn getreten, gestürzt.

In einer anderen Vernehmung gab er an, beide Kinder seien zudem beim
Ins-Bett-Legen mit den Köpfen aneinander gedonnert. Um die Kinder zu
beruhigen habe er sie fest an die Brust gedrückt. Vielleicht zu fest.
Auch früher schon. Der im Nebenzimmer angeblich schlafenden
Kindsmutter sagte er nichts. Die jammernden Kinder ließ er im
Gitterbett zurück, schlief im Wohnzimmer ein.

«Ich denke, dass er sich dafür verantwortlich fühlt, dass das Kind
tot ist. Ich glaube aber, dass er seinen Kindern nicht schaden
wollte», sagt ein Vernehmungsbeamter aus. Die Staatsanwaltschaft
jedoch unterstellt mit ihrer Anklage mehr als bloße Fahrlässigkeit,
sondern auch versuchte Tötung. Die Kinder hatten auch ältere
Verletzungen, die sich nicht alle durch den Sturz und das Stolpern
erklären ließen, so das Gutachten des Rechtsmediziners.