Brotbaum oder Problembaum? Umstrittene Fichte ist Baum des Jahres Von Sophie Rohrmeier, dpa

Die Fichte ist aus dem deutschen Landschaftsbild nicht wegzudenken.
Für die Zukunft aber sehen Experten den Baum nicht gut gerüstet. Die
Kür zum Baum des Jahres ist deshalb vor allem ein Anstoß zum
Nachdenken.

Marktredwitz (dpa) - Die Fichte ist die am weitesten verbreite
Baumart in Deutschland und zugleich umstritten. Doch sie habe mehr
Aufmerksamkeit verdient, findet die Stiftung «Baum des Jahres» und
verleiht ihr deshalb auch diesen Titel für 2017. Dabei geht es
weniger um eine Jubelfeier, als um eine Diskussion - und um
Kompetenz.

Die fordert Silvius Wodarz, Umweltschützer und Präsident der Stiftung
mit Sitz in Marktredwitz. Seit 27 Jahren ruft sie den Baum des Jahres
aus. Um die Fichte aber, so schreibt die Stiftung, machte die Jury
immer einen Bogen, denn: «Die Fichte polarisiert.» Die Laudatio fällt

entsprechend aus: «Für die einen ist sie der Brotbaum der deutschen
Forstwirtschaft, für die anderen der Inbegriff naturferner
Monokulturen.» Die Fichte habe eine Zukunft in Deutschland - auch in
Zeiten des Klimawandels, sagt Wodarz. «Es bedarf jedoch etwas
Sachverstandes, um sie heute sinnvoll in den Wald zu integrieren.»

Genau der aber fehlte lange. Das räche sich nun, sagt der Botaniker
Stefan Ruge von der Hochschule für Forstwirtschaft in Rottenburg. Die
Fichte (Picea abies) ist heute die häufigste Baumart in Deutschland
gemessen an ihrem Flächenanteil. Sie bedeckt 24,2 Prozent der
Waldflächen in Deutschland, wie die jüngste Bundeswaldinventur von
2012 zeigt. Häufig steht sie in Monokulturen, vor allem in Bayern und
Baden-Württemberg.

Diese Vormacht hat die Fichte durch Menschenhand. Nach dem
sogenannten hölzernen Zeitalter - das gesamte Mittelalter bis weit
ins 19. Jahrhundert - war der Wald in Deutschland fast leer gerodet.
Man hatte Holz für praktisch alles gebraucht, vom Löffel bis zur
Wärme. Danach wurde vor allem mit der Fichte aufgeforstet. «Auch in
tiefen Lagen, wo sie eigentlich von Natur aus nicht hingehört»,
erklärt Ruge. Ähnlich war es nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die Reparationszahlungen an Frankreich, England oder Russland
leistete Deutschland teilweise in Holz, vor allem aus
Südwestdeutschland. Zudem war Ruge zufolge die Forstverwaltung am
Boden, und Trockenheit ließ dem Borkenkäfer viel Spiel. Auch dann
forstete man wieder mit der Fichte auf - wiederum auch da, wo es für
die Fichte nicht hoch genug war, zu warm oder nicht gut zum Wurzeln.
Letzteres macht sie zum Sturm-Opfer, sie kippt leicht um.

«Jetzt zahlen wir die Rechnung für die Monokulturen», sagt Ruge. Denn

diese sind anfällig für Schädlingsbefall. Außerdem ist die Fichte f
ür
den Klimawandel nicht gut gerüstet. Stürme und Trockenheit machen ihr
zu schaffen - und eben die Borkenkäfer, die geschwächten Bäumen den
letzten Rest geben. Deshalb sind viele Fichten gestorben. Zwar stehen
sie - wie gesagt - noch immer an erster Stelle unter den Baumarten,
doch ihr Bestand sank von 2002 bis 2012 um vier Prozent.

Das macht der Holzindustrie und dem Handwerk Sorgen, sie sind Ruge
zufolge oft auf leichtes Holz wie dem der Fichte angewiesen. Für
Dachstühle etwa ist zum Beispiel Eichenholz zu schwer.

Der Rückgang der Fichte ist wohl noch nicht zu Ende. «Es gibt noch
viele ältere Wälder, mit denen wir leben müssen», sagt Ruge - und
damit viele Fichten, die bedroht sind. Grund sei auch der
Klimawandel. «Wenn sich die Temperatur um zwei Grad erhöht, dann wird
die Fichte unterhalb von 700 oder 800 Metern nicht überleben»,
prognostiziert Ruge. «Dafür werden andere Baumarten zunehmen, etwa
die Sommerlinde.» Das sei aber ein langsamer Prozess. «Das Klima
ändert sich schneller als die Bäume wandern, das ist unser Problem.»


Deshalb versuchen ihm zufolge die Länder und der Bund standortgerecht
aufzuforsten: das heißt, einen Mischwald aus Laub- und Nadelbäumen zu

bilden und die Fichte nur da zu pflanzen, wo sie leben kann. Dafür
gibt es flächendeckend Karten - zumindest für öffentlichen Wald. Fü
r
Privatwald, sagt Ruge, gelte das nicht in jedem Fall. Der aber macht
fast die Hälfte des Waldes in Deutschland aus.

Eine Alternative zur Fichte ist die Douglasie, die besser mit
Trockenheit zurechtkommt. Die Industrie wünscht sich Ruge zufolge
mehr davon, Naturschützer aber haben Bedenken, da sie als
eingeführter Baum heimische Arten verdrängen könnte. Bisher bedeckt
die Douglasie bundesweit zwei Prozent der Waldfläche. «Sie ist in
aller Regel unproblematisch», meint Ruge. Ein Anstieg auf zum
Beispiel sechs Prozent wäre seiner Ansicht nach vertretbar. Dennoch:
Fichte und Kiefer ganz ersetzen dürfe die Douglasie nicht. «Wenn die
Hälfte aller Waldbäume Douglasien wären, wäre das eine Katastrophe

fürs Landschaftsbild - und wegen der Anfälligkeit für Schädlinge.
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