Ötzi kommt ins Kino - als Dorfoberhaupt und liebender Familienvater Von Sabine Dobel, dpa

Es ist einer der ältesten ungelösten Mordfälle. Vor mehr als 5000
Jahren starb Ötzi, der Gletschermann, hoch den Bergen. Bis heute gibt
sein Tod Rätsel auf. Welche Geschichte steckte dahinter? Der Film
«Iceman» entwirft eine Fiktion. Gerade wird gedreht.

Eschenlohe (dpa) - Wissenschaftler haben seinen Darminhalt erforscht,
seine Fingernägel, seine mit Kohlenstaub eingebrannten Tattoos und
sein Gebiss. Man weiß: Ötzi litt an Karies und
Bandscheibenverschleiß, hatte eine Veranlagung zu
Herz-Kreislaufproblemen und eine Laktose-Intoleranz. Er aß Fleisch
vom Alpensteinbock und er trug «Leggings» aus Ziegenleder. Aber warum
rannte er vor 5300 Jahren in unwirtlicher Höhe in den Ötztaler Alpen
herum? Wie starb er - und was war er für ein Mensch? Nichts ist
bekannt über den Charakter, die Gedanken und Gefühle des
Gletschermannes, dessen Fund vor 25 Jahren am Tisenjoch eine
Weltsensation war.

In der internationalen Film-Koproduktion mit dem Arbeitstitel «Iceman
- die Legende von Ötzi» haucht ihm der Autor und Regisseur Felix
Randau nun eine Lebensgeschichte ein. Kelab heißt Randaus Ötzi, und
gespielt wird er von Charakterkopf Jürgen Vogel («Die Welle»). «Er

ist ein Leader, der Ortsvorsteher. Man denkt, dass er in Richtung
Medizinmann geht», sagt Produzent Jan Krüger. «Er ist ein
spiritueller und liebender Mensch, dem alles genommen wurde.»

Kelab verlässt sein Dorf und seine Familie um auf die Jagd zu gehen.
Als er zurückkommt, ist die Siedlung gebrandschatzt, seine Frau Kisis
(Susanne Wuest, «Ich Seh, Ich Seh») und sein Sohn Rasop sind tot,
das heilige Totem seiner Sippe ist gestohlen. Nur ein Säugling
überlebt. Kelab nimmt ihn mit. Und schwört Rache.

Zumindest könnte es so gewesen sein. Randau hat für das Drehbuch
genau recherchiert, es entstand unter anderem in Zusammenarbeit mit
dem Archäologischen Museum in Bozen, wo die verhutzelte schwarze
Gletschermumie gut gekühlt und mit Wasser besprüht in einer dunklen
Gruft für Schaulustige zu sehen ist.

Vogel, altersmäßig mit 48 Jahren im richtigen Ötzi-Alter, hat für d
ie
Rolle Bogenschießen gelernt, sich mit Kraft- und Ausdauertraining
vorbereitet - und mit einer steinzeitlichen Paläo-Diät, die auf
Zucker und andere industriell hergestellte Lebensmittel verzichtet.
Er passe physisch gut zu Ötzi, sagt er selbst: Wie er sei er
tätowiert; und eher klein. Und: «Bei mir passen gut Perücken.»

Zwei Stunden muss Vogel in die Maske, ehe er mit Kunsthaar,
Lederkluft und einem eigens angefertigten Gebiss als Ötzi dasteht -
der unter Parodontose litt und einen kaputten Frontzahn hatte. Krüger
sagt, Vogels ausdrucksstarke Mimik und die physische Leinwandpräsenz
seien ausschlaggebend gewesen bei der Wahl: «Das ist unser Ötzi.»

Gedreht wurde unter anderem im Schnalstal in Südtirol, nur ein paar
Kilometer von der Fundstelle Ötzis entfernt. Im benachbarten
Passeiertal hatte das Filmteam das Steinzeitdorf aufgebaut, dass die
feindlichen Nomaden bei ihrem Überfall niederbrennen.

Jetzt ist das Team in Bayern unterwegs. Am Set bei Eschenlohe im
Alpenvorland stapften Vogel und das Team am Dienstag durch unwegsames
Gelände in der Asam-Klamm. Hier macht sich Kelab auf die Suche nach
den Mördern seiner Lieben. Er wird dabei Ditob (Franco Nero) treffen
- und schließlich seinem Feind Krant (André Hennicke)
gegenüberstehen.

Wissenschaftler vertraten die These, dass Ötzi auf der Flucht war.
Denn er legte tagelang große Strecken in hohen und unwirtlichen
Bergregionen zurück - und war einen Tag vor seinem Tod in einen Kampf
verwickelt. Gegen die These spricht, dass er noch eine Stunde vor
seinem Tod gemütlich Brotzeit machte, eben mit dem Steinbockfleisch,
das die Forscher 5000 Jahr später in seinem Magen fanden.
Kriminalexperten gehen eher von einem heimtückischen Mord aus. Ob
eine Beziehungstat, ein Auftragsmord oder gar eine Frau dahinter
steckte - der Fall wird vermutlich nie ganz geklärt werden.

Viel Spielraum also für Fantasie. Namen und Sprache im Film:
Entwickelt mit einem Sprachwissenschaftler. Vermutlich sei in der
Gegend damals Ur-Rätisch gesprochen worden, sagt Krüger.

Im Film wird nicht viel geredet, vorwiegend sind es Wort- und
Satzfetzen. Die Szenen in den spektakulären Berg- und
Gletscherlandschaften sollen für sich sprechen. Soweit bisher
absehbar ist: Es verspricht ein archaisches Drama zu werden, mit
großen Bildern, gedreht von Kameramann Jakub Bejnarowicz
(«Feuchtgebiete»), und vielen Gefühlen. Happy End? Bleibt noch offen.

Premiere soll im nächsten Jahr auf einem internationalen Festival
sein, Kinostart im Winter 2017 /2018.