Warum die Arzneimittelpreise den Versicherten nicht egal sein sollten Von Ruppert Mayr, dpa

Innovationen kosten, sagt die Pharma-Industrie. Abzocke, schimpfen
die Krankenkassen, wenn es um die Preisgestaltung der
Arzneimittelhersteller geht. Und wo bleibt die Politik?

Berlin (dpa) - Der Streit über steigende Arzneimittelpreise wird vor
allem zwischen gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) und
Pharmaverbänden ausgetragen. Patienten und Versicherte sind so gut
wie ausgeschlossen. Dabei sind sie unmittelbar betroffen. Denn die
Arzneimittelpreise kommen spätestens mit den steigenden
Zusatzbeiträgen auch beim Versicherten an. Der am Montag in Berlin
vorgestellte «Arzneiverordnungsreport 2016» unterstreicht dies.

Bekommen Versicherte die höheren Preise auch selbst zu spüren?

Arzneimittel gehören zu den «Top 3» der Kostentreiber im
Gesundheitswesen. Die gesamten Ausgaben der GKV haben 2015 erstmals
«die Schallmauer von 200 Milliarden Euro überschritten». Die Ausgaben

für Arzneimittel erreichten dabei ein neues Rekordniveau von knapp 37
Milliarden Euro. Sie legten in den vergangenen beiden Jahren um 4,8
Milliarden Euro oder 15 Prozent zu, so der AOK-Bundesverband. Die
Steigerungen schlagen sich auf die Zusatzbeiträge der Krankenkassen
nieder und damit ausschließlich auf den Geldbeutel der Versicherten.

Ist ein teures Medikament automatisch auch ein gutes?

Für den unmittelbar auf Medikamente angewiesenen Patienten ist es
wichtig, dass das viele Geld tatsächlich auch in Präparate gesteckt
wird, die für ihn etwas bringen. Das Hepatitis-C-Präparat Sovaldi
beispielsweise, das als eines der teuersten Medikamente in den
vergangenen Jahren auf den Markt kam, hatte eine auch von den Kassen
anerkannt positive Wirkung.

Doch einige der Medikamente, bei denen eine Tablette schon mal 700
Euro und eine Standardtherapie 60000 Euro kosten kann, seien nicht
ohne Risiko, sagt der Autor des Reports, Ulrich Schwabe. So seien bei
neuen, die Blutgerinnung hemmenden Mitteln 11 000 Fälle von
schwerwiegenden Blutungen gemeldet worden, darunter etwa zehn Prozent
tödliche Blutungen.

Gibt es Mechanismen, um hohe Arzneimittelpreise zu verhindern?

Ja. 2011 wurde unter der schwarz-gelben Bundesregierung das Gesetz
zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) in Kraft gesetzt. Ziel
war es, dem Patienten die beste Therapie angedeihen zu lassen bei
gleichzeitig günstigen Kosten. Neue Arzneimittel müssen seither einen
Zusatznutzen für Patienten haben. Man versprach sich Einsparungen von
zwei Milliarden Euro im Jahr. Bisher liegt der Spareffekt bei nur 925
Millionen.

Warum wurden die Einsparziele nicht erreicht?

Schwabe sieht den Grund vor allem in einer nachträglichen Aufweichung
des AMNOG. So wurde für sogenannte Orphan Drugs, Arzneimittel zur
Behandlung von seltenen Krankheiten, eine Ausnahmeregelung
geschaffen. Deren Zusatznutzen gilt bereits durch die europäische
Zulassung als belegt. Auch der Bestandsmarkt - die Arzneimittel, die
vor 2011 eingeführt wurden - werde nicht ausreichend überprüft.

Hat die Industrie auf AMNOG reagiert?

Ja, sagt der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen
Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig. Angesichts der niedrigen
Zulassungsschwelle habe sich die Industrie in den vergangenen Jahren
mehr und mehr auf die medikamentöse Krebsbehandlung konzentriert.
Hier seien um ein Vielfaches höhere Preise zu erzielen als in den
klassischen Feldern wie Herz-Kreislauf- oder Zucker-Erkrankungen.
Fast ein Drittel der 37 im vergangenen Jahr neu eingeführten
Arzneimittel seien für die Krebsbehandlung Sterbender zugelassen,
darunter wiederum sechs Mittel für seltene Leiden.

Was unternimmt die Politik gegen Preissteigerungen?

Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will mit einem
Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz weitere Preisbremsen
einziehen. Doch von den Experten der Krankenkassen wird sein
Referentenentwurf regelrecht zerrissen. Dieser setze praktisch Eins
zu Eins um, was die Pharmaverbände im April im sogenannten
Pharmadialog gefordert hätten, sagt Schwabe. «Was der Markt bereit
sei zu zahlen, das wird als Preis angenommen.» Dabei sollen die
Preise zwischen Krankenkassen und Pharmaunternehmen künftig auch noch
im Geheimen ausgehandelt werden. «Das ist eine Veralberung der
Öffentlichkeit», kritisierte Schwabe.

Leider zwingen die großen Reserven im Gesundheitssystem Gröhe nicht
zum Sparen, heißt es bei den Krankenkassen. Und so muss sich der
CDU-Politiker im Wahljahr 2017 mit niemandem ernsthaft anlegen.

Und was sagt die Pharmaindustrie?

Viel Lärm um nichts. «Die Kosten bleiben unter Kontrolle und sind mit
Blick auf den Fortschritt durch Innovationen gerechtfertigt», heißt
es beim Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa).