Experten: Regierung weicht Preisbremsen für Arzneimittel auf

Die Krankenkassen klagen schon lange: die Kosten für Arzneimittel
steigen und steigen. Bessere Preisbremsen müssen her. Der Gesetzgeber
sei gefragt. Sonst steigen auch die Zusatzbeiträge für Versicherte.

Berlin (dpa) - Arzneimittel-Experten haben der Bundesregierung
vorgeworfen, die Preisbremsen für den Pharmamarkt aufzuweichen - zu
Lasten der Versicherten. Nach dem am Montag in Berlin vorgestellten
Arzneimittelverordnungsreport 2016 im Auftrag des AOK-Bundesverbands
stiegen die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV) 2015 weiter um 1,5 Milliarden Euro auf ein neues Rekordniveaus
von 36,9 Milliarden Euro.

Die Zunahme von 4,3 Prozent lag demnach erneut über dem Anstieg der
Gesamtausgaben der GKV von 3,9 Prozent. Innerhalb von zwei Jahren
stiegen die Kosten sogar um 4,8 Milliarden Euro. Das stehe im krassen
Gegensatz zu den Zielen des Gesetzes zur Neuordnung des
Arzneimittelmarktes (AMNOG) von 2011, mit dem ursprünglich
Einsparungen von 2,0 Milliarden Euro erzielt werden sollten,
kritisierte der Autor des Reports, Ulrich Schwabe.

Durch eine neue Gesetzesinitiative des Gesundheitsministeriums solle
die Funktion des AMNOG als Preisbremse weiter demontiert werden, so
Schwabe weiter. Praktisch würden damit die Forderungen der
Pharmaverbände, wie sie beim im April zu Ende gegangenen
Pharma-Dialog vorgebracht worden seien, eins zu eins umgesetzt. Die
Kosten für diese Politik würden auf die Versicherten abgewälzt, vor
allem durch erhöhte Zusatzbeiträge.

So solle künftig der zwischen Hersteller und Krankenkassen
ausgehandelte Erstattungsbetrag geheimgehalten werden. Während die
Pharmaverbände argumentieren, auf diese Weise könne der Betrag
niedriger gehalten werden, weil damit Deutschland nicht mehr die
Preise für Europa vorgebe, hält der Report dagegen: «Das dient allein

zur Stabilisierung von Deutschland als Hochpreisland.» Zudem würde
die Möglichkeit des europäischen Preisvergleichs abgeschafft, über
den der GKV-Spitzenverband seine Vereinbarungen mit den Herstellern
über die tatsächlichen Erstattungsbeträge für Medikamente abgleiche
n
könne.

Die Preisentwicklung im Pharmamarkt geht nach dem Report zum größten
Teil auf den patentgeschützten Fertigarzneimittelmarkt zurück. Dieser
Markt mit Arzneimitteln, auf die der Hersteller in der Regel 20 Jahre
das Patent und damit das Monopol hat, wuchs den Angaben zufolge von
2014 auf 2015 um 1,3 Milliarden auf 14,9 Milliarden Euro an, ein
Ausgabenanstieg in diesem Segment von 9,7 Prozent.

Durch das AMNOG konnten 2015 bei den patentgeschützten neuen
Arzneimitteln rund 925 Millionen Euro eingespart werden. Doch diese
Summe hätte noch deutlich höher ausfallen können, wenn das AMNOG als

Preisbremse nicht an vielen Stellen aufgeweicht worden wäre,
kritisierte Schwabe.

Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) verwies dagegen
auf das hohe Innovationspotenzial der Branche. Im übrigen seien die
Ausgaben der Krankenkassen für Arzneimittel auch dieses Jahr nur
moderat gestiegen. Und die Preise innovativer Arzneimittel in
Deutschland lägen unter dem europäischen Durchschnitt.