BGH löst mit Urteil zur Patientenverfügung Nachfrage-Sturm aus Von Wolfgang Dahlmann, dpa

Millionen von Patientenverfügungen schlummern in Datenbanken oder im
Wohnzimmerschrank. Die meisten müssen nach einem BGH-Urteil präziser
formuliert werden. Vermerke wie «bei schweren Hirnverletzungen Geräte

abschalten» reicht nicht. Fachberater wissen, wie es geht.

Karlsruhe/Berlin (dpa) - Viele Menschen sind nach der jüngsten
Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) zu Patientenverfügungen
verunsichert. Sie wissen nicht, ob ihre schriftlich niedergelegte
Willenserklärung ausreicht. Der BGH hält eine Patientenverfügung fü
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Ärzte und Angehörige nur für bindend, wenn sie ausreichend konkret
formuliert ist. Schätzungen zufolge besitzt etwa jeder dritte
Erwachsene eine Verfügung. Sie sind vermutlich in den meisten Fällen
zu ungenau. Bei den Fachberatern der Deutschen Stiftung
Patientenschutz stehen seit dem Urteil die Telefone nicht still.

Was genau hat die Unsicherheit ausgelöst?

Der BGH hat in einem Streit um lebensverlängernde Maßnahmen bei einer

älteren Frau die Ansprüche an die Dokumente hochgeschraubt. Sie hatte
nach Auffassung der Richter in ihrer Verfügung nicht klar genug
ausgedrückt, was im Falle eines schweren Gehirnschadens mit ihr
passieren soll und sich nur allgemein gegen «lebensverlängernde
Maßnahmen» ausgesprochen. Daraus ließ sich laut BGH kein Sterbewunsch

ableiten. Die Kinder der Patientin waren sich zudem uneins.

Wofür brauche ich überhaupt eine Patientenverfügung?

Eine Verfügung kommt zum Einsatz, wenn ich nicht mehr selbst
entscheiden kann und eine Diagnose der Ärzte vorliegt. Im Mittelpunkt
stehen Behandlungsanweisungen für konkrete Krankheitssituationen. Sie
richten sich an die Ärzte und auch an Vertrauenspersonen, sogenannte
Vorsorgebevollmächtigte, die der Verfasser bestimmen kann.

Und diese Verfügungen reichen nach dem Urteil nicht mehr aus?

Von den geschätzten Millionen von Schriftstücken dürften viele nicht

ausreichend formuliert sein. Meist wurden nur Kreuze und kurze
Kommentare auf Vordrucken gemacht, die zu allgemein gehalten sind.

Wie genau müssen Verfügungen sein?

Die Krankheitssituationen, zu denen man keine oder nur eine zeitlich
begrenzte Behandlung wünscht, müssen genau beschrieben sein.

Um welche Behandlungsformen geht es?

Es geht um künstliche Beatmung, Herz-Kreislauf-Stabilisierung,
Dialyse, Reanimation, Bluttransfusion oder künstliche Ernährung.

Wie würde das im Fall eines Hirnschadens aussehen?

Es gibt verschiedene Ursachen und Zustände. Falle ich durch
Sauerstoffmangel im Gehirn oder aber durch einen Unfall in
ein Wachkoma, ergeben sich dadurch voraussichtlich unterschiedliche
Krankheitsverläufe. Bei einer Hirnverletzung ist die Rückbildung der
Symptome nach sechs bis zwölf Monaten ohne Reaktionsverbesserung
wenig wahrscheinlich. Bei Sauerstoffmangel sind die Aussichten schon
nach drei bis vier Monaten schlecht. In der Verfügung kann ich
angeben, wie lange eine künstliche Beatmung oder Ernährung in einem
bestimmten Fall dauern soll oder ob sie überhaupt zur Anwendung
kommt.

Welche anderen Situationen sollten aufgenommen werden?

Es geht um Organversagen oder Demenz. Beim schleichenden Verlust der
geistigen Fähigkeiten oder des Erinnerungsvermögens steht das späte
Demenzstadium im Mittelpunkt. Eine selbstständige Lebensführung ist
nicht mehr möglich. Es kann so weit kommen, dass künstlich ernährt
werden muss. Für diesen Fall kann der Mensch den Verzicht auf diese
Maßnahme festlegen. Er kann auch verfügen, dass Nebenerkrankungen wie
eine Lungenentzündung oder Krebs nicht behandelt werden.

Was bedeutet Organversagen?

Es geht um den Ausfall lebenswichtiger Organe wie Herz, Lunge, Leber
oder Nieren. Ohne Intensivmaßnahmen stirbt der Patient. Er kann
verfügen, dass bestimmte Maßnahmen nach Feststehen der Diagnose
eingestellt werden. Beim Nierenversagen wäre das die Dialyse.

Wer erklärt mir solche medizinischen Umstände?

Im günstigen Fall machen das geschulte Berater, heißt es bei der
Stiftung Patientenschutz. Sie erstellt jährlich etwa 3000 Verfügungen
nach Gesprächen mit Mitgliedern und führt ein bundesweites Register.

Was passiert ohne eine Patientenverfügung?

Die Ärzte versuchen mit allen Mitteln, den Patienten am Leben zu
erhalten. Ist der Mensch hirntot, können sie zu dem Schluss kommen,
dass ein Abschalten der Apparate sinnvoll ist. Hat der Patient auch
keine Vorsorgebevollmächtigten, die seine Interessen vertreten, wird
von Amts wegen ein Betreuer bestellt, der mitbestimmen kann.

Schließen sich Patientenverfügung und Organspendeausweis aus?

Nein. Wenn ich im Todesfall Organe spenden will, muss ich aber
einwilligen, dass bestimmte Verfügungen, zum Beispiel zum
Geräteeinsatz, vorübergehend außer Kraft gesetzt werden.