Der Testsieger von Platz 47 und andere Tricks Von Sandra Trauner, dpa
«Guten Tag, willkommen bei Ihrer neuen Krankenkasse, wir haben Ihre
alte Versicherung schon mal für Sie gekündigt...» Bei der
Wettbewerbszentrale häufen sich die Beschwerden über gesetzliche
Krankenkassen. Manche Werbekampagne ist «mehr als eigenwillig».
Bad Homburg (dpa) - Mehr als 100 gesetzliche Krankenkassen buhlen in
Deutschland um Kunden. Der Wettbewerb wird härter, die Sitten rauer,
davon ist die Wettbewerbszentrale im hessischen Bad Homburg
überzeugt. Wenn die Beiträge wie vorhergesagt steigen, könnte es noch
schlimmer werden.
2015 hat die Wettbewerbszentrale etwa 50 Beschwerden über
Werbeaktionen von Krankenkassen bearbeitet, 2016 waren es im ersten
Halbjahr bereits rund 40. «Die Fälle zeigen, dass im
Krankenkassenbereich mit zunehmend härteren Bandagen um Mitglieder
gekämpft wird», sagt Christiane Köber, die für den Gesundheitsberei
ch
zuständige Geschäftsführerin.
Eine Betriebskrankenkasse warb beispielsweise mit einer
Beitragsgarantie - und erhöhte später dann doch. Eine andere
präsentierte ein Qualitätssiegel, in dessen Ranking sie vor Jahren
mal vorne lag - aktuell aber nur auf Platz 47 zu finden ist.
Besonders häufig ist Köber zufolge, «dass die Kassen den Kunden nach
der Kündigung Steine in den Weg legen». Wenn ein Mitglied kündigt,
muss die alte Kasse ihm eine Kündigungsbestätigung ausstellen. Die
braucht er, um sich bei einer neuen Kasse anzumelden. Doch das kann
bisweilen dauern, wie Köber berichtet. Wenn eine Kasse sich zu lange
bitten lässt, ist das aus Sicht der Wettbewerbszentrale eine
«aggressive geschäftliche Handlung» und unzulässig.
Die meisten Beschwerden kämen von der Konkurrenz und nicht von
Kunden, sagt Köber: «Für den Verbraucher ist das ausgesprochen schwer
zu erkennen.» Wenn die Wettbewerbshüter etwas beanstanden, schicken
sie der Kasse eine Unterlassungserklärung. Der Verstoß in der
Vergangenheit werde nicht geahndet, sagt Köber, «aber wir sorgen
dafür, dass es in Zukunft nicht wieder passiert».
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) spricht
von Einzelfällen: «Wenn 117 Krankenkassen mit 70 Millionen
Versicherten miteinander im Wettbewerb stehen, dann kann es
passieren, dass eine Wettbewerbsregel von einer Krankenkasse anders
interpretiert wird als von der Wettbewerbszentrale», sagt
GKV-Sprecher Florian Lanz. «Wenn im Einzelfall tatsächlich
Versicherte von einer Krankenkasse falsch behandelt werden, dann
wurde das stets rasch abgestellt.»
Es gibt aber auch Fälle, in denen die Kassen auf stur schalten, wie
Köber berichtet. «Dann ziehen wir vor Gericht.» Wie im Fall einer
Betriebskrankenkasse, der das Landgericht Konstanz untersagte, seine
laut Köber «mehr als eigenwillige» Kundenwerbungspraxis fortzusetzen.
Andernfalls drohen jetzt 250 000 Euro Ordnungsgeld oder sechs Monate
Haft (das Urteil vom 21. Juli ist noch nicht rechtskräftig).
Die Kasse hatte eine Telefonmarketingfirma beauftragt, potenzielle
Kunden anzurufen. Auch wenn diese sagten, sie wollten keine neue
Versicherung, bekamen mindestens acht Verbraucher eine schriftliche
Bestätigung: «Wir freuen uns, Sie als neues Mitglied begrüßen zu
dürfen!» Der Dienstleister verfasste sogar im Namen der angeblichen
Neukunden Kündigungsschreiben und schickten es an deren alte Kassen.
In einem anderen Fall glaubten die Kunden, sie unterschrieben an der
Türe eine Empfangsbestätigung für Infomaterial - in Wahrheit
unterzeichneten sie die Kündigung ihrer alten Versicherung.
Es steht zu befürchten, dass der Wettbewerb noch härter wird: Der
Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen hat angekündigt, dass
viele Kassen den Zusatzbeitrag anheben werden. Es gibt den
allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent, den sich Arbeitgeber und
Arbeitnehmer teilen. Und es gibt den Zusatzbeitrag, den einzelne
Kassen erheben dürfen. Diesen müssen die Versicherten alleine tragen.
Zur Zeit liegt er bei rund einem Prozent des Einkommens. 2019 könnte
er knapp zwei Prozent betragen, hatte die Chefin des
GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, im Juni vorausgesagt. Erhöht
eine Kasse diesen Zusatzbeitrag, gilt ein Sonderkündigungsrecht.
Die für den Gesundheitsbereich zuständige Geschäftsführerin der
Wettbewerbszentrale kann sich vorstellen, dass Tricksereien dann noch
mal zunehmen: «Die Kassen, die dann über dem Durchschnitt liegen,
werden sich was einfallen lassen müssen.»