Experten geben Moorleiche ein neues Gesicht

Ein mysteriöser Zufallsfund in Ostfriesland beschäftigt nach mehr als
100 Jahren immer noch viele Wissenschaftler. Sie wollen wissen, woran
der im Moor entdeckte Tote starb: Verbrechen oder Unfall? Nach vier
Jahren Forschung sind einige Fragen gelöst.

Emden (dpa) - Nach 108 Jahren hat die einzige deutsche Moorleiche aus
dem frühen Mittelalter ein Gesicht bekommen. Forscher haben den stark
beschädigten Schädel der 1200 Jahre alten Moorleiche «Bernie» aus
Ostfriesland rekonstruiert und mit Computerhilfe ein fast
lebensechtes Abbild geschaffen. Das plastische Modell samt blondem
Haarschopf und verschiedene Varianten gezeichneter Porträts wurden am
Freitag im Ostfriesischen Landesmuseum Emden vorgestellt.

Die Wissenschaftler standen zunächst vor schwierigen Aufgaben. Das
bekleidete Skelett war 1907 von Torfstechern bei Bernuthsfeld (Kreis
Aurich) zufällig entdeckt und beschädigt worden. Die Finder wollten
nicht in einen Mordfall verwickelt werden und hatten es zunächst
wieder vergraben. Danach war die arg ramponierte und schlecht
präparierte Moorleiche Jahrzehnte im Landesmuseum ausgestellt. Dort
sorgte der «Mann vom Bernuthsfeld» vor allem bei Schulklassen für
Grusel-Gefühle.

2011 wurde «Bernie» als begehrtes Objekt für 50 Wissenschaftler und
zahlreiche Technikexperten zu diversen Instituten verschickt. So
rekonstruierten Fachleute im britischen Liverpool, in Freiburg
(Baden-Württemberg), Wettenberg (Hessen) und beim Landeskriminalamt
in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) das Gesicht des Toten. Spezialisten
beim Institut für Rechtsmedizin am Universitätsklinikum
Hamburg-Eppendorf (UKE) wollten die genaue Todesursache ermitteln.

Nach einer Radiokohlenstoffdatierung des Skeletts starb der ungefähr
30 Jahre alte Mann zwischen 680 und 770 nach Christus. Als
Besonderheit waren in dem Grab auch der blonde Haarschopf und die
komplette Kleidung sowie eine lederne Messerscheide erhalten.

Trotz modernster Untersuchungsmethoden sind noch viele Rätsel
ungelöst: «Warum lag der Tote im Moor? War es ein Unfall, Mord, eine
Bestattung oder ein Ritual?», fragte sich Professor Klaus Püschel.
Der Rechtsmediziner am UKE hat keine Gewaltspuren erkannt und glaubt
eher an eine Bestattung als ein Verbrechen: «Vielleicht war «Bernie»

nicht ganz gesund am Lebensende. Ganz eindeutig ist die Todesursache
aber nicht.»

Etwas Karies, Arthrose und eine Versteifung an der Wirbelsäule von
«Bernie» hat das Team um Professor Michael Schultz von der
Rechtsmedizin Göttingen diagnostiziert: «Keine spektakulären
Krankheiten, aber vielleicht hat der Mann am Lebensende seine Knochen
geschont und war bettlägerig.»

Die akribischen Untersuchungen nach naturwissenschaftlichen und
medizinischen Aspekten sind jetzt nach vier Jahren zwar weitgehend
abgeschlossen, doch die Neugier der Wissenschaftler lässt nicht nach.
So wollen Archäologen die Umgebung der Fundstelle noch einmal genauer
unter die Lupe nehmen. Zudem sollen Forschungsergebnisse über
verschiedene Moorleichen in Norddeutschland zusammengetragen, die
Toten quasi zum Sprechen gebracht werden. «Wir sind noch nicht am
Ende», sagte Püschel. «Bernie» soll im April nach Emden zurückkeh
ren
und irgendwann in einem würdigen Rahmen samt der wissenschaftlichen
Erkenntnisse präsentiert werden.