Ärzte ohne Grenzen über Ebola-Hilfe: Das hat uns sehr frustriert Interview: Andrea Barthélémy, dpa

Die Bilder sterbender Kinder vor den geschlossenen Türen überfüllter

Krankenhäuser in Westafrika haben sich vielen eingebrannt. Die
Organisation Ärzte ohne Grenzen zieht Bilanz des
Ebola-Hilfseinsatzes, den sie monatelang fast alleine bestritten.

Berlin (dpa) - Die Ebola-Epidemie in Westafrika flacht deutlich ab.
Doch nach Ansicht der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (Médecins
Sans Frontières/MSF) ist das kein Anlass, sich in Europa oder Amerika
stolz auf die Schulter zu klopfen. Tankred Stöbe, Präsident von MSF
Deutschland im dpa-Interview:

Frage: Wie ist die Lage derzeit in den betroffenen Regionen? Ist das
Schlimmste überstanden?

Antwort: Die Situation ist insgesamt nicht mehr so dramatisch wie vor
einem halben Jahr. Vor allem in Sierra Leone und Liberia sind wir
hoffnungsvoll. Aber die Epidemie gilt erst als überwunden, wenn es
mindestens 42 Tage lang keine Neuinfektion gab. In Guinea ist die
Situation noch nicht unter Kontrolle, die Infektionszahlen gehen
immer wieder mal hoch. Das besorgt uns sehr. Laut WHO sind in den
drei Ländern in der vergangenen Woche insgesamt 37 Neuinfektionen
gezählt worden. Das hört sich wenig an, aber schon ein Patient reicht
aus, um einen neuen Flächenbrand auszulösen. Daneben bereiten uns
andere Krankheiten große Probleme, wie Masern, Malaria oder
Meningitis. Die ohnehin fragilen Gesundheitssysteme in den drei
Ländern sind ja komplett zusammengebrochen.

Frage: Was waren die größten Fehler, die gemacht wurden?

Antwort: Der Ernst der Lage wurde viel zu lange nicht erkannt. Die
internationale Gemeinschaft und auch die WHO hat hier versagt.
WHO-Mitarbeiter haben ja sogar abgewiegelt und uns Panikmache
vorgeworfen. So hat es bis September gedauert, bis endlich Hilfe
anlief. Auch Deutschland hat zu lange gezögert, es gab viele
verständnisvolle und hochrangige Gespräche, aber getan hat sich
erstmal nichts. Das hat uns sehr frustriert. Und die Hilfe, die dann
kam, war zu wenig flexibel. Als das Krankenhaus, das mit Hilfe der
Bundeswehr in Monrovia errichtet wurde, am 23. Dezember fertig war,
wurde es dort für Ebola-Patienten gar nicht mehr gebraucht.

Frage: Welche Lehren für die Zukunft können aus der Epidemie gezogen
werden?

Antwort: Man muss es so deutlich sagen: Durch frühere und effektivere
Hilfe hätten viele Tausend Menschen vor Ebola geschützt und gerettet
werden können. Wir müssen also schneller und flexibler reagieren. In
der betroffenen Region, die vorher ja keine Erfahrung mit Ebola
hatte, hat es notgedrungen einen großen Erfahrungszuwachs gegeben.
Aber die schwachen Systeme sind weiter geschwächt. Für Ebola gilt
jedenfalls: So lange wir keinen Impfstoff haben, stirbt daran jeder
zweite Patient. Und Ebola ist nur eine der typischen vernachlässigten
Erkrankungen, für die die Forschung wenig tut. Hier muss es dringend
mehr öffentlich geförderte Entwicklungspartnerschaften geben. Wir
fordern die Bundesregierung deshalb auf, im Rahmen ihrer
G7-Präsidentschaft einen Forschungsfonds für vernachlässigte
Krankheiten auf den Weg zu bringen.

ZUR PERSON: Tankred Stöbe (46) ist seit 2004 Mitglied im Vorstand und
seit 2007 Präsident von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland ((Médecins

Sans Frontières/MSF). 2002 tauschte der Internist und Notfallarzt zum
ersten Mal seine feste Klinikstelle gegen ein Projekt der
Organisation in Thailand ein - und nannte das später die wichtigste
Entscheidung seines Lebens. Gegen Stress hilft ihm: Lesen und
Schlafen.