Verzweiflung in den Zeiten von Ebola: Im Dorf von «Patient Null» Von Kristin Palitza, dpa

Im Dorf Meliandou im westafrikanischen Guinea nahm das tödliche
Ebola-Fieber seinen Ausgang. Die Bewohner haben nicht nur viele
Angehörige verloren, sondern auch jede Hoffnung.

Meliandou (dpa) - Etienne Ouamouno sitzt vor seiner Hütte und schaut
einen Stapel Fotos durch. Eines zeigt den 31-Jährigen mit seiner
Frau, lächelnd und ein Baby im Arm haltend. Seine Hand zittert bei
der Erinnerung. Von den Menschen im Bild ist nur noch er am Leben.
Gerade ein Jahr alt, wurde sein Sohn Emile zu «Patient Null», dem
ersten Opfer des schlimmsten bekannten Ebola-Ausbruchs der
Geschichte. Seitdem sind Tausende Menschen in Westafrika an dem Virus
gestorben.

Sein Dorf Meliandou liegt inmitten saftiger Felder und Tropenbäume am
Ende einer schlammigen Straße im Regenwald Guineas. In dieser
abgelegenen Siedlung von Rundhütten und einfachen Steingebäuden hatte
zuvor niemand von einer Krankheit namens Ebola gehört. Das arme, aber
friedliche Leben in Meliandou, in dem die Mehrheit der 500 Bewohner
vom Anbau von Reis, Maniok, Mais und Bananen lebt, änderte sich
unwiderruflich im Dezember. Das Dorf markiert den Beginn der
Ebola-Epidemie, die sich im dramatischen Tempo ausbreitete.

Emile war das erste Opfer. Er starb am 28. Dezember. Eine Woche
später folgte seine vierjährige Schwester Philomene. Dann seine
Großmutter, Tante und, Ende Januar, seine Mutter Sia, die im vierten
Monat schwanger war. Ouamouno verlor sechs Familienmitglieder in
weniger als einem Monat an eine Krankheit, von der er glaubte, sie
sei das Ergebnis von Hexerei. «Ich dachte, mein Dorf ist gegen mich.
Ich dachte, meine ganze Familie wird sterben. Ich verlor jede
Hoffnung», sagt er, umringt von seinen drei überlebenden Kindern.

Doch Ebola verbreitete sich schnell im ganzen Dorf. Eine Beerdigung
folgte der nächsten. Die Leichen wurden gewaschen, aufgebahrt und mit
Gebeten versehen, so wie es in Guinea Tradition ist. Im April waren
21 neue Gräber ausgehoben.

Von Panik erfasst verließen viele Bewohner das Dorf, darunter auch
örtliche medizinische Helfer. Sie wussten wenig darüber, wie sie sich
schützen könnten, und trugen dazu bei, dass sich das Virus in der
Region verbreitete. Unter denen, die flüchteten, war auch Ouamounos
Vater Fassinet. Der 47-Jährige nahm seine Kinder und Enkel und reiste
mehr als 400 Kilometer in überfüllten Minibus-Taxis in die Stadt
Siguiri, wo sie für acht Monate blieben.

Kürzlich ist Fassinet nach Meliandou zurückgekehrt. Auch ihn hat das
Glück verlassen. «Es gibt immer noch ein so großes Stigma. Sobald die

Leute hören, dass wir aus Meliandou kommen, haben sie Angst oder
rennen davon. Sie glauben, dass wir verseucht sind.»

Das Wissen über Ebola verbreitete sich langsam. Die Behörden
alarmierten erst am 10. März das Gesundheitsministerium über eine
rätselhafte Krankheit mit hoher Todesrate. Am 19. März bestätigte die

Regierung den Ausbruch von Ebola. Epidemiologische Ermittlungen
zeichneten später nach, wie sich das Virus von Meliandou in die
nächstgelegene Stadt Guéckédou ausgebreitet hatte und von dort in
andere Landesteile, berichtete das «New England Journal of Medicine».

Bis zum 22. Oktober hat die Weltgesundheitsorganisation 1540 Fälle in
Guinea erfasst. Davon starben 904 Menschen. Allerdings könne die Zahl
der nicht gemeldeten Fälle bis zu zehnmal höher sein, heißt es aus
Kreisen der Vereinten Nationen in der Hauptstadt Conakry.

Sobald Ebola bestätigt war, traten Helfer die Zweitagesfahrt von
Conakry nach Meliandou an, um die Einwohner zu informieren und ihnen
beizubringen, wie sie einer Ansteckung vorbeugen können. Wie im
Rausch begannen die Einwohner alles zu verbrennen, was sich in den
Häusern der Toten befunden hatte: Matratzen und Decken, Kleider,
Handtücher, manchmal sogar die Ausrüstung für die Feldarbeit.

«Die Leute waren verrückt vor Angst. Sie verbrannten die wenigen
Habseligkeiten, die sie hatten», sagt der Dorf-Vorsteher Amadou
Kamano und weist auf die Aschehaufen hinter den Hütten. Mit den
richtigen Informationen versorgt, gelang es den Bewohnern, die
Epidemie in der Siedlung binnen Wochen einzudämmen. Aber zu der Zeit
«hatte Ebola bereits unser Dorf verwüstet», sagt Kamano.

Hinde Leno verlor acht Angehörige. Als erstes starb seine Frau. Ihre
Aufgabe war es gewesen, die Leichen für die Beerdigungen zu waschen
und aufzubahren. «Unsere Leben haben sich verändert. Wir leben in
Trauer», erzählt der siebenfache Vater. «Meine Kinder sind ängstlic
h
und verschlossen. Sie schlafen schlecht, haben Alpträume.»

Trotz Aufklärungskampagnen werden die Bewohner weiter stigmatisiert.
Taxifahrer weigern sich, Passagiere aus Meliandou mitzunehmen.
Niemand will Produkte von den Bauern der Gegend haben. Dadurch fehlen
ihnen die Mittel, um notwendige Dinge einzukaufen - Öl zum Kochen
etwa, Zucker oder - noch wichtiger - Seife.

Auch Ouamouno hat derzeit wenig zu tun. Mehrere Stunden am Tag
lauscht er dem roten Transistorradio, das ihn an seinen Sohn
erinnert. «Immer wenn ein Lied gespielt wurde, tanzte Emile», sagt
er. «Es gab damals so viel zu lachen.»