Gestresste Begleiter - Blinde beklagen schlechte Hundeausbildung Von Änne Seidel, dpa
Hund statt Stock: Für viele Blinde ist ein Führhund der optimale
Gefährte im Straßenverkehr. Doch nur, wenn auf das Tier wirklich
Verlass ist. Daran gibt es immer wieder Zweifel.
Berlin (dpa) - Hätten die Autos nicht gebremst, Saskia Knönagel wäre
angefahren worden. Ihre Führhündin Phoebe hatte auf der anderen
Straßenseite einen Artgenossen entdeckt und seine blinde Besitzerin
auf die Fahrbahn gezogen - ohne Rücksicht auf die herannahenden
Autos. Dreimal habe ihre Hündin sie in derart gefährliche Situationen
gebracht, erzählt Knönagel. Dabei sollen Führhunde eigentlich genau
das vermeiden und dafür sorgen, dass ihre blinden Halter sicher von A
nach B kommen.
Knönagel gibt der Führhundschule, die Phoebe ausgebildet hatte, die
Schuld. Die Hündin, sagt sie heute, sei gar nicht für die Arbeit als
Blindenhund geeignet - und das hätte der Trainerin spätestens während
der Ausbildung auffallen müssen. Auch vermutet Knönagel, dass in der
Schule Gewalt angewendet wurde. «Positive Bestätigungen durch
Streicheln oder Leckerli kannte Phoebe gar nicht.»
Laut dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) ist
Knönagels Hündin Phoebe bei weitem kein Einzelfall. Nach eigenen
Angaben erreichen den Verein regelmäßig Beschwerden über schlecht
ausgebildete Blindenführhunde. Immer noch arbeiteten einige der rund
60 Ausbilder in Deutschland mit körperlichen Bestrafungen wie
Schlägen oder heftigen Leinenrucken, kritisiert DBSV-Referentin
Sabine Häcker. So werde die Arbeit für die Tiere zu purem Stress.
Gestresste Hunde seien aber keine verlässlichen Begleiter für Blinde.
Der DBSV setzt sich daher für eine bessere und tiergerechte
Ausbildung von Blindenführhunden ein. Eine gute Führhundausbildung -
ohne Einsatz von Gewalt - brauche Zeit, betont Häcker. Bis zu 10 000
Mal müsse eine Aufgabe wiederholt werden, bevor der Hund sie
vollkommen verinnerlicht habe. Das erklärt auch, warum Führhunde so
teuer sind. Ein gut ausgebildetes Tier kostet zwischen 25 000 und 30
000 Euro. Leider gebe es auch «Dumping-Angebote» für 18 000 Euro,
bemängelt Häcker. Bei solchen Preisen könne die Ausbildung unmöglic
h
seriös sein, ist die Referentin überzeugt.
Der DBSV sieht vor allem die Krankenkassen in der Pflicht. In der
Regel übernehmen sie die Kosten für die Blindenführhunde und sollten
- so die Forderung des DBSV - darauf achten, dass nur gut
ausgebildete Hunde finanziert werden. Der Spitzenverband der
gesetzlichen Krankenkassen (GKV) müsse zudem verbindliche Standards
für Führhundtrainer festlegen. Zwar gibt es da bereits Vorgaben. Die
seien aber völlig veraltet und blieben sehr allgemein, kritisiert
Sabine Häcker. Der GKV-Spitzenverband teilte daraufhin mit, dass der
Vorgaben-Katalog in Zukunft überarbeitet werden soll. Wann genau sei
aber nicht abzusehen.
Der Berufsverband der deutschen Blindenführhundschulen fühlt sich
übergangen. Der DBSV hätte sich mit den Beschwerden der Hundehalter
zunächst an sie wenden sollen, sagt der Vize-Vorsitzende Maik
Schubert. Sein Verband hätte die Vorwürfe geprüft und rechtliche
Schritte eingeleitet, falls tatsächlich gegen den Tierschutz
verstoßen wurde. Den Druck auf die Krankenkassen hält Schubert für
kontraproduktiv. Wenn künftig die Kassen die Führhundschulen
auswählen, werden sie die billigsten Angebote nehmen, fürchtet er.
Die Qualitätsschulen des Berufsverbands hätten dann keine Chancen
mehr.
Zumindest in einem Punkt ist sich Schubert dann aber doch einig mit
dem Blindenverband: Beide bemängeln, dass der Beruf des
Führhundtrainers in Deutschland nicht geschützt ist. Im Prinzip kann
jeder eine Schule aufmachen, egal ob er für das Training qualifiziert
ist oder nicht.