«Fass das Basilikum nicht an!» - Menstruations-Tabus in Indien Von Sunrita Sen, dpa
Spiel nicht. Berühre keine Männer. Fass das Essen nicht an. Und gehe
auf keinen Fall in einen Tempel. Die Liste der Dinge, die Inderinnen
während ihrer Periode nicht machen dürfen, ist lang. Und einige der
Tabus haben schlimme Folgen.
Neu Delhi (dpa) - All der Schmutz ihres Körpers werde bald einmal im
Monat als Blut herausfließen, sagte Savita Sharmas Mutter zu ihrem
12. Geburtstag. Von diesem Zeitpunkt an gab es viele Regeln für die
junge Inderin während ihrer Menstruation: Fass die heilige
Basilikumpflanze nicht an, sie wird sonst verschrumpeln. Berühre kein
Pickle, das eingelegte Obst und Gemüse, denn es verdirbt dann. Gehe
nicht in Tempel und nimm an keinen religiösen Zeremonien teil, da du
während der Periode unrein bist.
Sharma dachte damals, es beginne eine schreckliche Phase in ihrem
Leben. Heute beachtet die 24-Jährige, die in einer IT-Firma im
Hauptstadt-Vorort Gurgaon arbeitet, die meisten dieser Tabus nicht
mehr. Doch andere Inderinnen halten sehr wohl daran fest. Eine
Umfrage des Marktforschungsinstituts Ipsos zeigt, dass zwei Drittel
der befragten Großstädterinnen ihre Haare am vierten Tag der
Menstruation waschen, um sich zu reinigen. Mehr als die Hälfte
berührten kein Pickle, heißt es in der Studie, die vom
Monatsbindenhersteller Proctor & Gamble finanziert wurde.
Viele Frauen stellten die Verbote nicht infrage, sagt Aditi Gupta
(29), die nach jahrelanger Recherche zum Thema die
Informationswebsite Menstrupedia startete. «Das Kapital zur
Fortpflanzung wird in den Schulen erst in der 8. oder 9. Klasse
gelehrt, wenn die Kinder schon 14 oder 15 Jahre alt sind», beschwert
sie sich. Viele Mädchen bekämen ihre Periode aber schon zwei oder
drei Jahre zuvor - und wüssten nicht, was da mit ihnen passiert.
Die Tabus stammen aus einer Zeit vor Monatsbinden und Tampons, als
Frauen in Indien während ihrer Menstruationszeit oft allein in Hütten
sitzen mussten. Doch noch immer werden vor allem in ländlichen
Gegenden Frauen isoliert, während sie ihre Tage haben. Mädchen dürfen
weder in die Küche, noch draußen spielen. Und verheiratete Frauen
schlafen nicht mit ihrem Ehemann in einem Bett.
Die Tabus und Regeln haben auch Folgen für die Bildung. Nach Angaben
der indischen Regierung gehen mehr als die Hälfte der 16-jährigen
Mädchen nicht mehr zur Schule: Die meisten brächen ab, sobald sie
ihre Tage bekämen, sagt Suneela Garg, Chefin der Sozialmedizin am
Maulana Azad Medical College in Neu Delhi. An vielen Schulen gebe es
- trotz anderslautender Gesetze - auch keine Toiletten, wo Mädchen
ihre Binden wechseln könnten.
Die meisten Inderinnen verwenden Lumpen aus alten Saris oder Salwar
Kameez immer und immer wieder, um das Blut aufzufangen. Aus Scham
wüschen sie diese nicht richtig mit Seife und ließen sie in der Sonne
austrocknen, sondern stopften sie nass in eine dunkle Ecke, sagt
Garg. Die Folge: gefährliche Infektionen der Scheide oder des
Harntrakts. Auch die psychologische Belastung durch die
Heimlichtuerei sei enorm.
Die Gynäkologin Sumati Mondal aus Kolkata erzählt die Geschichte
eines jungen Mädchens, das so geschockt von dem Blut war, dass es
seine Periode ein Jahr lang der Familie verschwieg. Sie benutzte
altes Papier, Tücher und Stoffreste, um den Blutfluss zu stoppen.
«Sie genierte sich so. Niemand hatte ihr davon erzählt. Sie dachte,
irgendetwas ganz Schlimmes passiere mit ihr.» Schließlich habe die
16-Jährige eine Infektion bekommen - und sei unfruchtbar geworden.
«Die Tatsache, dass viele der Tabus mit religiösen Ritualen
zusammenhängen, macht es so schwer, sie loszuwerden», sagt T.G.
Geetha von der Organisation Gender Awareness Promoters. Tatsächlich
werden die Einschränkungen vor allem in Bezug auf die Religion bis
heute am Häufigsten befolgt: Die Organisation WaterAid fand bei einer
Umfrage in Westbengalen heraus, dass mehr als 70 Prozent der
befragten Frauen nicht an religiösen Veranstaltungen teilnehmen. Und
bis heute steht auf manchen Schildern vor Tempeln: «Keine Kameras,
keine Schuhe, keine menstruierenden Frauen.»
# Notizblock
## Internet
- [Aufklärungsseite Menstrupedia](http://dpaq.de/lNqzE)
- [Schulabbrecherquoten in Indien](http://dpaq.de/siEjX)
- [WaterAid zu Menstruationshygiene in
Südasien](http://dpaq.de/ugmFa)
## Orte
- [Maulana Azad Medical College](Maulana Azad Medical College Campus,
Neu Delhi, Delhi, Indien)
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