Praxis-Test: Sprechstunde in Flüchtlingsunterkunft unerwünscht Von Christine Cornelius, dpa

Arztbesuche können für Flüchtlinge eine große Hürde sein - fernab
der
Heimat und mit wenig Sprachkenntnissen. In Schwetzingen wollen Ärzte
unkonventionell helfen - und stoßen auf Widerstand der Behörden.

Schwetzingen (dpa) - Wenn ein Flüchtling bei Hausärztin Nicole
Neßling im Behandlungszimmer sitzt, funktioniert die Kommunikation
oft nur mit Händen und Füßen. «Es gibt zum Beispiel viele Afrikaner

und Afghanen, die gar kein Englisch sprechen», sagt die 45-Jährige.
«Ein ärztliches Gespräch ist dann nur mit Dolmetscher möglich - die

Patienten kommen aber trotzdem immer wieder allein.»

Am liebsten würde die Ärztin die Flüchtlinge direkt in der
Gemeinschaftsunterkunft untersuchen, die ein paar Kilometer außerhalb
des Ortskerns von Schwetzingen in Baden-Württemberg liegt. «Dort wäre

es leichter, einen Übersetzer zu finden», sagt sie. Doch das
zuständige Landratsamt verhindert Sprechstunden vor Ort.

Neßling kann das Nein der Behörde nicht nachvollziehen. «Ich könnte

mir vorstellen, ein halbes Jahr lang ein Pilotprojekt zu machen und
dann ein Resümee zu ziehen.» Die Ärztin und ihr Kollege Andreas
Reinicke stellen sich ein bis zwei Sprechstunden pro Woche vor, für
ein paar Stunden. Dabei gehe es nicht um eine kostenlose Versorgung:
Abrechnen würden sie über das Sozialamt. «Wir können die Patienten

viel schneller und effizienter vor Ort versorgen», sagt Reinicke.

Der Landrat des Rhein-Neckar-Kreises sieht das anders als die beiden
Schwetzinger Ärzte. Hausbesuche in der Unterkunft mit den rund 250
Menschen seien zwar möglich, jedoch keine feste Sprechstunde, sagt
Stefan Dallinger. Es gebe keinen geeigneten Raum, und vom Land
bekomme er auch kein Geld, um extra einen herzurichten, der die
nötigen Standards erfülle. Zudem müsse solch ein Betrieb
ausgeschrieben werden. «Ich kann es nicht zwei Ärzten einfach
zuschustern.»

Auch gebe es eine freie Arztwahl, die bei einer fixen Sprechstunde in
der Unterkunft nicht mehr sichergestellt wäre. «Die Asylbewerber
würden dann natürlich nicht mehr zu anderen Ärzten gehen», sagt
Dallinger. «Wir würden in den Wettbewerb eingreifen und das geht
nicht so einfach, wie manche sich das vorstellen.»

Ein wichtiges Argument ist für den CDU-Landrat außerdem, dass die
Flüchtlinge nicht zur Unselbstständigkeit erzogen werden sollten.
Schließlich blieben sie nur eine begrenzte Zeit in der Unterkunft und
kämen dann an einen anderen Ort. «Asylbewerber sollen selbstständig
ihr tägliches Leben bestreiten können - und dazu gehören auch
Arztbesuche.»

Neßling kommen die Argumente des Landrats vorgeschoben vor. «Ich
hätte nicht gedacht, dass es auf so einen Widerstand stoßen würde»,

sagt sie. «Wenn man es wollte, wäre es durchaus möglich.» Viele
Flüchtlinge, vor allem Frauen, hätten eine hohe Hemmschwelle, einen
Arzt aufzusuchen. Neßling hofft, sie mit einem niederschwelligen
Angebot eher zu erreichen. Damit entstünden ihr zufolge mittelfristig
sogar weniger Kosten, weil Krankheiten nicht verschleppt würden und
mögliche Infektionskrankheiten sich nicht ausbreiten könnten.

Auch den Vize-Geschäftsführer der Organisation Pro Asyl überzeugt die

Argumentation des Landrats nicht. Das deutsche Gesundheitssystem zu
durchschauen, falle ja schon Deutschen schwer, sagt Bernd Mesovic. Da
könne so ein Angebot durchaus sinnvoll sein, gerade in großen
Unterkünften. «Ich bin dafür, möglichst vieles pragmatisch zu
regeln.» Für die Frage eines passenden Raumes und einer möglichen
Konkurrenzsituation zwischen den Schwetzinger Ärzten gebe es sicher
Lösungen. «Wenn es konstruktive Gedanken gibt, wie man es machen
kann, sollte man es nicht behindern.»