Nürnberger Klinikum ist Vorbild für moderne Altersmedizin Von Roland Beck, dpa

Am Nürnberger Zentrum für Altersmedizin werden Senioren nach einem
bundesweit einmaligen Konzept versorgt: Egal warum die Patienten
eingewiesen wurden, nehmen Ärzte von gleich drei Kliniken immer den
gesamten Körper unter die Lupe.

Nürnberg (dpa) - Der Konferenzraum ist bis auf den letzten Platz
gefüllt. Am Tisch sitzen etwa zwanzig Experten: Altersmediziner,
Neurologen, Psychiater, Pflegekräfte, Therapeuten und der
Sozialdienst. «Wir hatten heute Nacht eine Neuaufnahme», berichtet
die diensthabende Ärztin. «Die Patientin ist weiblich, 83 Jahre, in
der eigenen Wohnung gestürzt.»

Die alte Dame hat sich zum Glück nichts gebrochen. Mit diesem
Befund der Notaufnahme würde sie in einem normalen Krankenhaus
vermutlich schon wieder entlassen. Doch die Rentnerin ist im Zentrum
für Altersmedizin im Klinikum Nürnberg - die Einrichtung arbeitet
nach einem bundesweit einmaligen Konzept.

Die Geriatrie oder Altersmedizin ist hier besonders
ausgeprägt. Die teils hochbetagten Patienten durchlaufen unabhängig
vom Grund ihrer Einweisung grundsätzlich eine internistische,
psychiatrische und neurologische Untersuchung. Damit haben Mediziner
gleich dreier Kliniken den gesamten Körper und nicht nur einzelne
Organe im Blick.

Das ist der Grund, weshalb bei der Morgenkonferenz so viele
Experten die Patientenakte der gestürzten Frau studieren. War es nur
Unachtsamkeit oder könnte auch eine Herz-Rhythmus-Störung infrage
kommen? Vielleicht sogar Parkinson, wirft die Neurologin ein.
«Erkrankungen werden bei uns nicht isoliert betrachtet», erklärt
Chefarzt Walter Swoboda den Aufwand. «Denn viele Krankheiten bedingen
sich gerade im Alter gegenseitig.»

Nach Ansicht des Geriatrie-Pioniers Rainer Neubart sind in
Nürnberg die einzelnen Fachbereiche bundesweit am besten vernetzt.
Und Neubart sieht den Standort noch aus anderem Grund als
Besonderheit: Mit 88 Betten habe das Klinikum Nürnberg die größte
Geriatrie Deutschlands.

Mehr als die Hälfte der Patienten des Klinikums sind älter als 65
Jahre. Deshalb kooperieren die Kliniken für Geriatrie, Neurologie und
Psychiatrie seit zehn Jahren miteinander. Seit April arbeiten sie
auch räumlich unter dem Dach des Zentrums für Altersmedizin besonders
eng zusammen: In dem knapp 100 Euro Millionen teuren Neubau sind die
Untersuchungszimmer der drei Kliniken Tür an Tür. Ultraschall, Test
der Gehirnaktivität, Check von Herz und Gleichgewichtsorganen - meist
dauert es nur einen Tag, bis die Patienten alle Tests hinter sich
haben. Eine gemeinsame Leitstelle plant geradezu minuziös die
einzelnen Untersuchungen.

Wenn es nötig ist, wird ein Patient zwei bis drei Wochen stationär
aufgenommen, damit alle diagnostizierten Erkrankungen aus einem Guss
behandelt werden können - Komplex-Therapie sagen die Ärzte dazu. Das
Ziel: Die älteren Menschen sollen wieder selbstständig in ihren
eigenen vier Wänden leben können. Erst Krankenhaus, dann Altersheim -
das wollen die Nürnberger Altersmediziner nach Möglichkeit
verhindern.

«Natürlich ist diese längere Behandlung zunächst für die
Krankenkassen teurer», sagt der Vorsitzende des Berliner
Landesverbandes Geriatrie, Eric Hilf. Auf lange Sicht würden die
Kassen jedoch sparen: «Wird ein älterer Patient vom ersten Tag an
ganzheitlich behandelt, ist die Wahrscheinlichkeit wesentlich
geringer, dass er nach kurzer Zeit wegen einer anderen Erkrankung
wieder ins Krankenhaus oder sogar Heim muss.»

Mittlerweile ist die Diagnose für die Rentnerin gestellt: Die
83-Jährige hatte wegen einer beginnenden Demenz zu wenig getrunken
und gegessen. Ein Infekt schwächte ihren Körper zusätzlich, und es
gibt tatsächlich Anzeichen für Parkinson.

Die Seniorin wird eine ganze Zeit lang stationär behandelt werden
müssen. Dabei kommt noch eine Besonderheit ins Spiel: Vom ersten Tag
an sorgen Ergotherapeuten dafür, dass die Beweglichkeit der alten
Frau erhalten bleibt. Eric Hilf findet das gut: Studien in den USA
hätten gezeigt, dass es für betagte Patienten besser sei, mit der
Reha bereits in der Klinik zu beginnen.