Neues Rezept gegen unnötige OPs - Kritiker zweifeln an der Wirkung Von Basil Wegener, dpa

Hat ein Patient einer Operation zugestimmt, ist es oft zu spät. Oft
fällt erst danach auf: Der Eingriff war unnötig oder hat sogar
geschadet. Gesetzesänderungen sollen helfen - doch Zweifel sind groß.

Berlin (dpa) - Marc Lindberg wollte seine Rückenschmerzen
loskriegen - und entschied sich zur Operation. «Das Ergebnis ist aber
sehr schlecht ausgegangen», sagt der 45-Jährige. Nach mittlerweile
drei Eingriffen und dem Einsatz von 20 Metallteilen im Rücken sagt
der Frührentner in einer ARD-Dokumentation: «Ich fühle mich wie ein
Versuchskaninchen.» Nun führt er einen Rechtsstreit.

Niemand weiß genau, wie oft Menschen in Deutschland unters Messer
kommen, ohne dass die Erfolgsaussichten hoch sind oder die
Notwendigkeit groß. Doch laut den Krankenkassen haben unnötige OPs
etwa an Wirbelsäule, Herz und Gelenken Methode. Selbst die
Gesellschaften für Chirurgie und Orthopädie warnen vehement davor.
Nun hat die Koalition ihren wochenlangen Streit um gesetzliche
Abhilfe beendet.

Die Missstände an den Krankenhäusern kamen vor allem durch die
Tricksereien bei Spenderorganen hoch. Ärzte mehrerer Kliniken sollen
Patienten auf dem Papier kränker gemacht haben, um sie operieren zu
können. Wie kommen Ärzte dazu, ihre OP-Zahlen ohne Not in die Höhe zu

treiben - entgegen medizinischen Gründen und ärztlichem Ethos?

Eine Studie im Kassen-Auftrag zeigt: Bei den orthopädischen
Behandlungen gab es innerhalb von vier Jahren einen Anstieg von gut
14 Prozent, bei kardiologischen Fällen von 17 Prozent. Dass es immer
mehr Ältere gibt, erklärt nur den kleineren Teil.

Dass Operationen wohl immer mehr zum Patientenrisiko werden, liegt
vor allem am Bezahlsystem - die Kliniken werden anders als früher
nicht mehr nach der Zeit der Patienten auf Station bezahlt, sondern
nach Behandlungsfällen. Und auch die Bezahlung vieler Chefärzte
richtet sich teils danach - mit Aufschlägen für viele Eingriffe.
Entsprechende Bonusvereinbarungen haben laut einer Studie der
Personalberatung Kienbaum von 5 Prozent 1995 auf heute 45 Prozent
zugenommen. Im Gegenzug sank das Grundgehalt.

«Grundsätzlich muss sich ein Patient darauf verlassen können, dass

er aus medizinischen Gründen operiert wird und nicht, weil sein Arzt
finanziell was davon hat», sagt der CDU-Gesundheitspolitiker Jens
Spahn. Er dringt schon länger darauf, Kliniken zur Offenlegung
solcher Boni zu verpflichten - und scheiterte an der FDP, wie er in
einem Brief an die Unionsabgeordneten schrieb.

Nun einigten sich Union und FDP: Es soll neue Muster für
Vereinbarungen von Klinik und Chefarzt geben - Ziel: unabhängige
medizinische Entscheidungen. Die Kliniken müssen sich daran halten
oder aber öffentlich machen, ob sie für Rücken-OPs, Knie-OPs oder
anderes solche Vereinbarungen geschlossen haben. «Damit schaffen wir
Transparenz», sagt FDP-Gesundheitsexperte Heinz Lanfermann.

Bei der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, die seit längerem
auf Reformen zum Schutz der Patienten dringt, reagiert man
zurückhaltend. Denn laut den Gesetzesplänen soll die Deutsche
Krankenhausgesellschaft (DKG) gemeinsam mit der Bundesärztekammer die
maßgeblichen Empfehlungen herausgeben. «Das irritiert», sagt der
Generalsekretär der Chirurgen-Gesellschaft, Hans-Joachim Meyer.

Denn zwischen den Klinikvertretern und der Ärztekammer tobt schon
lange ein Streit um das Thema. Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery
ist für eine Offenlegung von Bonusvereinbarungen. Die Ärztekammer
richtete eine Kontaktstelle ein, bei denen man Verträge prüfen lassen
kann. Per offenem Brief griff daraufhin DKG-Präsident Alfred Dänzer
Montgomery an - dieser unterstelle den Klinikärzten Fehlverhalten.
Nun sollen sich beide Seiten auf die neuen Empfehlungen einigen.

Die AOK hält von den Plänen wenig. «Schnellen und wirksamen Schutz

von Patienten bringt nur ein sofortiges gesetzliches Verbot aller
mengenabhängigen Zielvereinbarungen», sagt Uwe Deh,
Geschäftsführender Vorstand des AOK-Verbands. «Ich plädiere dafür
,
durch ein sofortiges Verbot den finanziellen Anreizen zu medizinisch
nicht notwendigen Behandlungen die Rechtsgrundlage zu entziehen.»

Chirurg Meyer sagt: «Wir haben immer wieder geraten, statt
Quantität Qualität einzufordern.» Das unterstützen auch die Kassen,

wie Verbandssprecher Florian Lanz deutlich macht: «Bonuszahlungen
müssen sich daran orientieren, wie gut den Patienten geholfen wird,
ob zum Beispiel die Komplikationsrate nach Operationen besonders
gering ist.»