Leben ohne Krankenversicherung - Kreislauf aus Armut und Scham Von Sandra Trauner, dpa

137 000 Menschen in Deutschland haben keine Krankenversicherung. Ihr
Leben begleitet die Angst vor der nächsten Arztrechnung. Die meisten
sind arm - oder waren mal selbstständig und privat versichert.

Wiesbaden (dpa) - Meistens läuft es so: Ein Mann macht sich
selbstständig, schließt eine private Krankenversicherung ab, dann
geht der Betrieb pleite, er kann die Beiträge nicht mehr bezahlen,
die Versicherung wirft ihn raus. Die ersten Jahre macht ihm das
nichts aus: Mit einer Arztrechnung ab und an kommt er billiger weg
als mit den monatlichen Beiträgen. Doch dann wird der Mann krank, die
Rechnungen werden häufiger und teurer. Nun würde er sich gern wieder
versichern, aber die private Krankenkasse nimmt ihn nicht mehr auf.

Erst vergangene Woche saß wieder ein solcher Fall bei Petra
Tiarks-Jungk im Behandlungszimmer. Die Ärztin hilft in der
«Humanitären Sprechstunde» im Frankfurter Gesundheitsamt Menschen
ohne Krankenversicherung. Zu ihr kommen Illegale, Obdachlose, Sinti
und Roma, Migranten, aber auch Deutsche ohne Versicherungsschutz sind
darunter. 137 000 Menschen waren 2011 in Deutschland nicht
krankenversichert. Das sind 0,2 Prozent der Bundesbürger, wie das
Statistische Bundesamt am Montag berichtete.

Selbstständige und Erwerbslose waren besonders häufig nicht
krankenversichert. Von ihnen hatten jeweils rund 0,8 Prozent kein
Versichertenkärtchen. «Damit waren diese beiden Personengruppen in
etwa viermal so häufig ohne Krankenversicherungsschutz wie die
Bevölkerung insgesamt», rechnet Destatis-Mitarbeiter Robert
Herter-Eschweiler vor.

Die Zahl der Nicht-Krankenversicherten schrumpft allerdings
deutlich - um 30 Prozent ist sie seit 2007 gesunken. Der Grund: Die
Gesundheitsreform verpflichtete die privaten Krankenversicherungen
damals dazu, ab 2009 einen sogenannten Basistarif anzubieten. Die
Schmalspurversicherung darf nicht mehr kosten als der Höchstbeitrag
bei den gesetzlichen Versicherungen - 2012 sind das laut
Bundesgesundheitsministerium 593 Euro pro Monat.

9300 Menschen, die vorher nicht versichert waren, haben nach
Zählung des Verbands der privaten Krankenversicherung (PKV) seither
von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Nicht alle Rückkehrer wählen

den Basistarif, manche schließen auch eine normale private
Versicherung ab, wie viele ist nicht bekannt.

Dass es eine «Rettungsleine» für Menschen gibt, die sonst keine
Chance auf Krankenversicherungsschutz hätten, finden die privaten
Versicherer gut. Betriebswirtschaftlich aber rechnen sich diese
Neukunden nicht, wie PKV-Sprecher Stephan Caspary erklärt. Die
gesetzlichen Kassen haben es besser: Sie dürfen zwar niemanden wegen
seines schlechten Gesundheitszustands ablehnen, aber sie müssen
keinen aufnehmen, der zuvor privat versichert war. «Ein Rückkehrrecht
gibt es nur in die jeweils letzte Versicherung», erklärt Ann Marini
vom GKV-Spitzenverband.

Und so kann es sein, dass immer noch Menschen ohne
Versichertenkarte in der Sprechstunde von Frau Dr. Tiarks-Jungk
sitzen. Der Mann, der vergangene Woche da war, hatte nach der Pleite
seiner Schreinerei Privatinsolvenz angemeldet. Ins Krankenhaus traute
er sich nicht, schon die letzte Rechnung dort hatte er nicht bezahlen
können. Obwohl für Bedürftige der Basistarif noch mal halbiert wird,

hatte der 60-Jährige keinen Vertrag abgeschlossen. «Aus Scham»,
vermutet die Ärztin. «Der Mann hatte früher gut verdient, es war ihm

peinlich.» Heute zögert er jeden Arztbesuch so lange hinaus, bis es
gar nicht mehr geht - aus Angst vor der Rechnung.