Organspende-Reform beschlossen - Genaue Umsetzung offen

Niemand wird zum Ja gezwungen, aber alle werden gefragt - die Bürger
sollen sich zur Organspende bekennen. Nach rund 15 Jahren Debatte
zieht der Bundestag Konsequenzen aus dem fatalen Organmangel.

Berlin (dpa) - Alle Bundesbürger ab 16 Jahren werden künftig per
Post nach ihrer Bereitschaft zur Organspende nach dem Tod gefragt.
Das beschloss der Bundestag nach jahrelanger Diskussion am Freitag
mit breiter Mehrheit. In der Debatte stimmten die Politiker die
Bürger darauf ein, dass der Staat in dieser Frage nicht mehr
lockerlässt, weil der Mangel an Spenderorganen dramatisch ist. Wann
genau die Briefe millionenfach verschickt werden, ist noch offen.

Zuständig sind die gesetzlichen und privaten Krankenkassen. Sie
sollen den Versicherten ab 16 Jahren Informationsmaterial und einen
Organspendeausweis zuschicken. Auch bei der Passausgabe in den Ämtern
sollen die Bürger die Unterlagen erhalten.

Verankert wird diese Entscheidungslösung im
Transplantationsgesetz. Bei der Linken gab es einige Gegenstimmen und
Enthaltungen, auch bei Grünen und FDP war die Zustimmung nicht
durchgängig. Die Abstimmung über den gemeinsam erarbeiteten
Gruppenantrag verlief ohne Fraktionszwang. Von den 12 000 Menschen,
die in ganz Deutschland auf eine Spende warten, sterben jeden Tag 3.

«Wir wollen den Menschen tatsächlich etwas mehr auf die Pelle
rücken, indem wir fragen und nachfragen», sagte SPD-Fraktionschef
Frank-Walter Steinmeier. «Es gibt kein unverbrüchliches Recht, in
Ruhe gelassen zu werden.» Er sprach von einem Ja zu Mitmenschlichkeit
und Solidarität. Steinmeier wandte sich gegen übertriebene
Hoffnungen: Die Organspende - nur von Hirntoten kann sie genommen
werden - könne nur ein Beitrag sein, um Todkranken zu helfen.

Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) erinnerte an den Anstoß
für das Gesetz. Steinmeier und er hätten den Eindruck gehabt, «dass
wir nicht häufig genug und intensiv genug an die Menschen
herangegangen sind, um sie aufzufordern und zu motivieren, Organe zu
spenden». Dies solle nun geschehen, ohne Druck auszuüben.

Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) sprach von einem starken
Signal. Er kündigte an: «Wir werden eine große
Öffentlichkeitskampagne starten, um die Menschen besser aufzuklären.»

Dazu soll am kommenden Donnerstag in Münster eine Informationstour
starten. Bisher hätten nur 25 Prozent der Bürger einen
Spenderausweis. «Wir werden nicht lockerlassen, und werden
regelmäßig immer wieder informieren.» Elisabeth Scharfenberg (Grüne
)
sagte: «Das Thema wird in die Gesellschaft und die Familien
getragen.»

In einigen Jahren sollen die Versicherten ihre Entscheidung auf
der elektronischen Gesundheitskarte dokumentieren können. Sobald dies
technisch möglich ist, sollen sie sich von den Krankenkassen helfen
lassen können. Diese sollen die Daten speichern und löschen können.
Die Linke und die Grünen wandten sich aus Sorgen um den Datenschutz
und wegen der Verunsicherung der Bürger dagegen, scheiterten aber mit
entsprechenden Änderungswünschen.

Ein weiterer Gesetzesbeschluss bringt Änderungen beim Ablauf der
Organspende. Von Politikern und Experten werden sie als mindestens
ebenso wichtig eingestuft, um mehr Spenderorgane zu gewinnen. Alle in
Frage kommenden Krankenhäuser müssen Transplantationsbeauftragte
haben. Potenzielle Organspender sollen besser als heute identifiziert
werden.

Für Menschen, die zu Lebzeiten etwa eine Niere spenden, sollen auf
Kosten der Krankenkassen des Empfängers eine Entgeltfortzahlung und
Krankengeld garantiert werden. Auch die Nachsorge wird gesichert.

Umstritten bleibt der Umgang mit der Deutschen Stiftung
Organtransplantation (DSO), die die Spenden organisiert. Ihr werden
Unregelmäßigkeiten und Selbstherrlichkeit vorgeworfen. Die Koalition
und die SPD wollen mehr Transparenz und Kontrollen. Linke und Grüne
verlangten hingegen eine grundsätzliche Reform bei der DSO. Deswegen
stimmten sie der Änderung des Transplantationsgesetzes nicht zu.

Wann die Versicherten Post zur Organspende bekommen, ist noch
unklar. Beide Gesetze sollen voraussichtlich bis zum 1. Juli im
Bundesgesetzblatt stehen. Die Entscheidungslösung gilt vier Monate
nach dieser Verkündung - das wäre 1. November. Binnen zwölf Monaten
soll die Post erstmals verschickt werden.

«70 Millionen Versicherte anzusprechen ist ein riesiges Projekt»,
sagte der Sprecher des Kassen-Spitzenverbands, Florian Lanz. Die
Abfrage werde nach Möglichkeit mit der elektronischen
Gesundheitskarte oder anderen Schreiben kombiniert. Künftig soll die
Abfrage alle zwei Jahre erneut stattfinden. Wenn später die
Entscheidung auch auf der Gesundheitskarte gespeichert werden kann,
soll die Abfrage alle fünf Jahre erfolgen.

# dpa-Notizblock

## Internet
- [Gesetzesentwurf Entscheidungslösung]( http://dpaq.de/ZISyL)
- [Infos zur Entscheidungslösung]( http://dpaq.de/bec0E)
- [Organspendeausweis]( http://dpaq.de/yDmID)
- [Entwurf Transplantationsgesetz]( http://dpaq.de/ZoIWS)
- [Erläuterung zum Transplantationsgesetz] ( http://dpaq.de/Xx40Y)
- [Tagesordnung Bundestag]( http://dpaq.de/JTYrj)
- [Änderungsantrag Grüne]( http://dpaq.de/MC5M4)
- [Änderungsantrag Linke]( http://dpaq.de/mcUc0)
- [Entschließungsantrag Linke]( http://dpaq.de/KDcGF)
- [Organspende-Infos]( http://dpaq.de/B3c5r)
- [Anhörung Bundestag dazu]( http://dpaq.de/2xkgZ)
- [Stiftung Organtransplantation]( http://dpaq.de/UWvLr)
- [Kauder-Steinmeier-Vorstoß]( http://dpaq.de/wJL5q)
- [Forderung der Länder]( http://dpaq.de/EXHYV)
- [Antrag 1997]( http://dpaq.de/A4wxx)
- [Kampagne für Organspende]( http://dpaq.de/9j3ey)

## Orte
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